Die Ankündigung von FBI-Chef James Comey, wonach Hillary Clintons E-Mail-Affäre noch nicht abgeschlossen sei, hat den US-Wahlkampf aufgewirbelt. Eine andere, wichtigere Aussage wird hingegen kaum wahrgenommen: Einige republikanische Senatoren, darunter auch John McCain, wollen keinen Höchstrichter bestätigen, der von einer Präsidentin Clinton nominiert wird. Sie wollen verhindern, dass der Supreme Court weiter nach links rückt.

Das ist ein Angriff auf eine Säule des amerikanischen Rechtsstaates, der eigentlich alle Alarmsirenen läuten lassen sollte. Es stimmt zwar, dass in der Verfassung die Zahl der Höchstrichter nicht vorgeschrieben ist. Aber seit 150 Jahren sind es neun, und das Recht des jeweiligen Präsidenten, neue Richter zu ernennen, hat noch niemand angezweifelt – bis zu dem Augenblick, an dem Präsident Barack Obama den angesehenen Merrick Garland als Nachfolger des verstorbenen Antonin Scalia präsentierte. Die Blockadepolitik der Republikaner schwächt den Gerichtshof und soll nun vier Jahre lang fortgesetzt werden, sollte Clinton ins Weiße Haus einziehen und der Senat hingegen in der Hand der Republikaner bleiben – ein ziemlich realistisches Szenario.

Diese Taktik scheint direkt den Handbüchern von Ungarns Premier Viktor Orbán oder Polens De-facto-Machthaber Jaroslaw Kaczynski entnommen, die es sich zur Maxime gemacht haben, alle Institutionen zu untergraben, die sie nicht selbst kontrollieren – sei es die Presse oder das Verfassungsgericht.

Bedrohlicher Trend

Es ist kein neuer, aber ein bedrohlicher Trend: In einer funktionierenden Demokratie darf über Inhalte wild gestritten werden, solange sich alle Parteien den gleichen Regeln unterwerfen. Doch in polarisierten Gesellschaften geschieht es immer öfter, dass zumindest eine Seite zu der Überzeugung kommt, im Sinne der eigenen Sache können die Regeln gebeugt werden. Wer an der Macht ist, will diese dann weder teilen noch je wieder aufgeben. Und wer eine Wahl verliert, erkennt das Ergebnis erst gar nicht an und delegitimiert damit die Sieger. Auch die FPÖ folgte mit ihrer Anfechtung der Bundespräsidentenwahl dem gleichen Muster – und hatte dabei das Glück, auf einen willfährigen Verfassungsgerichtshof zu stoßen.

Im 20. Jahrhundert folgten rechts- sowie linksextreme Kräfte diesem Drehbuch. Heute sind es zumeist Rechte, die jedes Schlupfloch suchen, um demokratische Regeln und Gepflogenheiten zu umgehen. Selbst in Großbritannien fragen sich viele, wie Regierungschefin Theresa May ihr Land auf den so riskanten Kurs eines "harten" Brexit führen kann, ohne das Parlament damit zu befassen. Das hat sich bisher noch kein Premier getraut.

Die Einzigen, die die demokratischen Institutionen schützen können, sind die Wähler, indem sie jeden Amtsmissbrauch an der Urne abstrafen. In den USA ist die Höchstgerichtsblockade allerdings nicht zum zündenden Wahlkampfthema geworden. Offenbar führt das wachsende Misstrauen gegenüber den herrschenden Systemen und ihren Eliten, das sich vor allem in den sozialen Medien widerspiegelt, dazu, dass auch die demokratischen Spielregeln nicht mehr so ernst genommen werden: Wenn alles manipuliert ist, dann sind auch diese nur Schein.

Immer öfter geht es daher bei Wahlen nicht nur um die Richtung der Politik, sondern auch um die Zukunft der Demokratie. (Eric Frey, 1.11.2016)