Das Internationale Dokumentarfilmfestival von Jihlava befindet sich im Jubiläumsjahr. Seit zwanzig Jahren beherbergt die südmährische Bergstadt nunmehr das Festival, und ebenso lange wird es von Mark Hovorka geleitet, immer unter der Losung "Myslet filmen – Durch den Film denken".

Foto: Filmfestival Jihlava

Und man wächst: "Alle Hotelzimmer im Umkreis von dreißig Kilometern sind von uns gebucht", erklärt René Kubášek, der von Prag aus das Festival mitorganisiert. Also fahren Shuttles – ausrangierte Busse des öffentlichen Nahverkehrs – in die umliegenden Ortschaften. Auch dabei gibt es etwas zu sehen. Auf dem Weg zum fünfzehn Kilometer entfernten Třešť fasziniert etwa das Logo des Wurstherstellers Kostelecké Uzeniny, der seinen Sitz im winzigen Kostelec hat. Es ist die Zeichnung eines Mannes, sie könnte aus den 1920er-Jahren stammen, mit Anzug und Pomade im Haar, der sich eine Wurst in den Mund schiebt und dabei aussieht, als würde er daran ersticken.

Foto: Filmfestival Jihlava

Ohnehin: Männer mit Dingen (im Mund). Von ihnen gab es während des Festivals einige. Allen voran vielleicht Václav Havel. In Pavel Kačíreks Film Jak odchází prezident (The Way the President Departs) sieht man ihn und seine Berater beinahe pausenlos mit Zigaretten zwischen den Lippen. Kačíreks fesselnder Zusammenschnitt ist zeitlich um die Präsidialwahl 1992 angesiedelt – jene Wahl, die Havel nicht für sich gewinnen konnte und die schließlich den Zerfall der Tschechoslowakei wenn nicht einleitete, so doch zumindest vorantrieb. Benutzt wurden Clips des tschechoslowakischen Fernsehens und des Original Videojournal, eines regimekritischen Videomagazins, das František Janouch, Václav und Olga Havel ab 1987 heimlich bedienten. The Way the President Departs bewegt sich indes nicht nur zeitlich eng umgrenzt, auch räumlich hat man es mit den immer gleichen Büros und repräsentativen Zimmern zu tun. Ein hermetisch abgeriegelter Bereich mit Dampfkesselatmosphäre, in dem Strategien besprochen werden, in dem man bangt und witzelt. Ein hervorragender Wahlthriller.

"The Way the President Departs": Václav Havel im Wahlkampf 1992.
Foto: Filmfestival Jihlava

War The Way the President Departs im tschechischen Wettbewerb zu sehen (und wurde nicht prämiert, im Gegensatz zu FC Roma, Tomáš Bojars Porträt eines tschechischen Fußballklubs, sowie Normal Autistic Film von Miroslav Janek über Jugendliche mit Asperger-Syndrom), setzte sich das Thema Wahl an anderer Stelle des Programms fort. Bezug nehmend auf den in den USA tobenden Wahlkampf stellt man in Jihlava die Frage: "Osel, neblo slon?", also "Esel oder Elefant?" Wobei das Eseltier traditionell den Demokraten zugerechnet wird und der Elefant den Republikanern. Ganz real konnte man diese Frage an mehreren Orten der Stadt für sich beantworten, denn das Festival hatte Wahlurnen installiert. Unter anderem im Kulturhaus DKO, einem sozialistischen Prachtbau, was keinen schlechten Hintergrund für eine simulierte US-Wahl abgibt. Filmische Orientierungshilfe bot derweil Chris Hegedus und D. A. Pennebakers The War Room von 1993, der den Wahlkampf Bill Clintons dokumentiert. In The War Room wird übrigens etwas weniger geraucht als in The Way the President Departs, dafür aber mehr Kaffee getrunken. Auch hier kristallisieren sich binnen kürzester Zeit prägnante Figuren heraus, wobei der jünglingshafte Clinton in seinen Shorts doch recht eigenwillig wirkt. Besonders aufwühlend: Gattin Hilary, apart und stolz in zweiter Reihe strahlend, dabei seltsam präsent.

"The Dazzling Light of Sunset": Georgische Wahl aus der Perspektive einer lokalen TV-Station.
Foto: Filmfestival Jihlava

Beide Filme thematisierten das Bühnenhafte, den personalen Auftritt, die Inszenierung – wobei sich sowohl Kačírek als auch Hegedus/Pennebaker freilich mehr für das Spannungsfeld interessieren, welches sich an der Grenze zwischen Öffentlichkeit und Konspirativem – quasi im Bereich des Vorhangs – befindet. Erstaunlicherweise sind Bühne und Medien ebenfalls wesentliche Bestandteile eines gänzlich anderen, ebenfalls prämierten Films: The Dazzling Light of Sunset der georgischen Filmemacherin Salomé Jashi. Sie konzentriert sich darin auf die Ereignisse in einer Region in Georgien und verfolgt diese aus der Sicht einer lokalen Fernsehstation mit. Auch hier stehen Wahlen ins Haus, auch hier präsentieren sich zwei Lager der Öffentlichkeit. Allerdings muss man sagen: wirklich überzeugend wirkt, auch in diesem Fall, keines. (Carolin Weidner, 30.10.2016)