Vergangenen Donnerstag fand im ersten Komitee der Uno-Generalversammlung eine historische Abstimmung statt: 123 Staaten sprachen sich – bei 38 Gegenstimmen und 16 Enthaltungen – dafür aus, dass kommendes Jahr im Rahmen einer internationalen Konferenz über ein rechtlich bindendes Verbot von Nuklearwaffen verhandelt werden soll.

Dieser Beschluss markiert einen Wendepunkt in der Entwicklung der internationalen Ordnung zur Kontrolle von Nuklearwaffen und einen einstweiligen Höhepunkt der Aktivitäten einer breiten Koalition von Staaten und Nichtregierungsorganisationen, die unter der Bezeichnung "Humanitäre Initiative" bekannt geworden ist.

Diplomatisches Geschick

Österreich hat mit viel Einsatz und diplomatischem Geschick eine führende Rolle innerhalb dieser Initiative eingenommen und damit die Geschichte globaler Bemühungen, die nukleare Abrüstung voranzutreiben, nachhaltig geprägt.

Das revolutionäre Handeln der Humanitären Initiative bleibt jedoch nicht auf Verhandlungen über ein Verbot von Nuklearwaffen beschränkt. Vielmehr hat sie in den vergangenen Jahren durch ihre Aktivitäten einen Wandel von drei fundamentalen Prinzipien oder Spielregeln der nuklearen Ordnung angestoßen.

Humanitäre Sicherheit

Im Kern der Initiative steht zunächst das Bestreben, das Prinzip nationalstaatlicher Sicherheit durch ein Prinzip humanitärer Sicherheit zu ersetzen. Nuklearwaffen sollen nicht mehr länger als Waffen verstanden werden, die eine Bedrohung der souveränen Existenz darstellen und (paradoxerweise) gleichzeitig als deren ultimativer Garant dienen, sondern vielmehr als Vernichtungsmaschinen, die keine Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten erlauben und unermessliches menschliches Leid nach sich ziehen.

Sinnbildlich für dieses neue Verständnis steht ein Ausspruch einer Teilnehmerin auf der Wiener Konferenz der Humanitären Initiative im Dezember 2014. Auf ein Bild des Atompilzes über Hiroshima verweisend, betonte sie, dass es ein Fehler sei, dieses Bild als Explosion einer Waffe zu verstehen. Es zeige das, was dort wenige Momente zuvor noch Gebäude und Bäume, Mädchen und Jungen, Frauen und Männer gewesen waren.

Inklusiv und demokratisch

Die Initiative lehnt sich ebenfalls gegen das oligarchische Herrschaftsprinzip innerhalb der nuklearen Ordnung auf, das den offiziellen Nuklearwaffenstaaten eine herausgehobene Stellung zuschreibt. Diese verstehen sich als einzig legitime Besitzer von Nuklearwaffen, als Taktgeber nuklearer Abrüstung und, vor allem im Fall der Vereinigten Staaten, als Architekten der nuklearen Ordnung.

Die Humanitäre Initiative versucht dieses exklusive, oligarchische Herrschaftsprinzip durch ein inklusives, demokratisches Herrschaftsprinzip zu ersetzen. Nicht mehr nur die Besitzer von Nuklearwaffen sollen die Entwicklung der nuklearen Ordnung beeinflussen, sondern alle Staaten und deren Zivilgesellschaften, die in gleichem Maße von den Konsequenzen nuklearer Bewaffnung betroffen sind. Durch dieses neue Prinzip sollen die Ungerechtigkeit und der Stillstand innerhalb der nuklearen Ordnung aufgebrochen werden.

Legitimität von Wissen

Das dritte und letzte Prinzip bezieht sich schließlich auf die Legitimität von Wissen über Nuklearwaffen. Die Entwicklung von Nuklearwaffen ging mit einer Legitimierung wissenschaftlicher Erkenntnis als einzig gültige Form des Wissens über die Verwendung und Wirkung von Nuklearwaffen einher.

Zwar greift die Humanitäre Initiative ebenfalls auf die Ergebnisse neuerer Forschungsarbeiten zurück, die sich mit den ökologischen und humanitären Konsequenzen nuklearer Detonationen beschäftigen, sie räumt jedoch auch der direkten Erfahrung der Opfer dieser Waffen einen hohen, wenn nicht sogar gleichrangigen Stellenwert ein.

Diese Opfer des Einsatzes von Nuklearwaffen gegen Hiroshima und Nagasaki sowie ihrer Tests in Kasachstan oder auf den Marshallinseln sollen damit endlich eine Stimme und Gehör innerhalb der nuklearen Ordnung erhalten.

Steiniger und langer Weg

Trotz der historischen Weichenstellung und der gegenwärtigen Aufbruchsstimmung bleibt der Weg nuklearer Abrüstung steinig und lang. Ein erstes Hindernis ist die vermeintliche Unvereinbarkeit zwischen der traditionellen, schrittweisen Reduktion nuklearer Bewaffnung, die von den fünf offiziellen Nuklearwaffenstaaten befürwortet wird, und dem rechtlichen Verbot von Nuklearwaffen, das diese Staaten vehement ablehnen.

Diese beiden Prinzipien sind jedoch keine Gegensätze, sie ergänzen sich vielmehr: Ein Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen wird keine umfassenden Bestimmungen über den Abbau bestehender Arsenale enthalten können, daher wird zukünftigen Abkommen über schrittweise Reduktionen eine zentrale Rolle auf dem Weg zu einer Welt ohne Nuklearwaffen zukommen.

Handlungs- und Unterlassungsdruck

Gleichwohl bleibt die Frage, ob und wann die Nuklearwaffenstaaten auf diesen Kurs schrittweiser Reduktionen einlenken werden. In jedem Fall aber ist der Handlungsdruck auf bestehende Nuklearwaffenstaaten und der Unterlassungsdruck auf nukleare Aspiranten seit vergangenem Donnerstag erheblich gestiegen. Dies ist vor allem auch ein maßgeblicher Verdienst österreichischer Diplomatie. (Martin Senn, 30.10.2016)