Je unsicherer die Zeiten werden, desto mehr schwindet das Vertrauen in die Politik. Acht von zehn Österreichern, so eine jüngst von der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform in Auftrag gegebene OGM-Umfrage, haben "weniger" oder "gar kein" Vertrauen in die österreichische Politik. Laut einer Sora-Studie wächst die Sehnsucht "nach einem starken Führer" – gemeint ist: politische Führungskraft.

Auf Bundesebene hat das zum einen mit der mangelnden Reformfähigkeit der Regierung zu tun, die diese Woche auch bei ihrem Wirtschaftspaket nicht den angekündigten großen Wurf geschafft hat. Die Liste der Vorhaben, auf die sich SPÖ und ÖVP nicht einigen können, wird jede Woche länger. So kann man sich nicht auf ein Integrationsprogramm verständigen, sondern nur auf eine Liste von ehrenamtlichen Tätigkeiten, die Flüchtlinge ausüben dürfen. Die Auflistung von der Teilnahme an Krötenbegleitungen bis zu Sperrmüllaktionen ist beschämend, zumal man sich bei der Frage der Bezahlung – ein Euro oder mehr – bisher nicht einigen konnte.

Die Opposition tut ihr Übriges, um das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz zu untergraben und Ängste zu verstärken. Beiträge aus den Reihen der Grünen und Linken zu den Freihandelsabkommen waren dazu angetan, Hysterie zu verbreiten. Jedes Mittel – auch die egoistische Blockade von belgischen Regionen – ist recht, um Ceta zu verhindern. Auch eine Allianz mit dem Boulevard ist dann legitim – der Zweck heiligt die Mittel.

Ressentiments schüren

Die FPÖ macht das, was sie seit Jörg Haiders Zeiten tut: Ressentiments schüren. Wenn Parteichef Heinz-Christian Strache behauptet, durch "ungebremsten Zustrom von kulturfremden Armutsmigranten" sei "mittelfristig ein Bürgerkrieg nicht unwahrscheinlich", weiß er, was er sagt.

Die Phänomene Politikerverdrossenheit und Populismus, die miteinander kommunizierende Gefäße sind, sind nicht auf Österreich beschränkt, wenn man sich die Entwicklungen in anderen europäischen Ländern und den derzeitigen US-Wahlkampf anschaut. Es gibt in der Bevölkerung reale Ängste, die begründet sind, aber auch gefühlte Ängste: Der Zugang zu Wohnung und Arbeit ist ein wesentliches Kriterium, Fragen der Verteilung und Solidarität in Wirtschaft und Gesellschaft, dazu kommen noch Identitätsthemen und Mitbestimmungsdefizite.

Schuldzuweisungen

Populisten thematisieren genau diese Ängste vor Abstieg, kultureller Überfremdung, mangelndem politischen Mitspracherecht und Denationalisierung. Schuld sind die Flüchtlinge, die Muslime, die Linken, die Frauen, die EU. Der deutsche Soziologe Wilhelm Heitmeyer sieht einen "wirkungsvollen, zynischen Mechanismus, dass jede Gesellschaft ihre Randgruppen erzeugt, um sich selbst zu stabilisieren". Es braucht Sündenböcke und Feindbilder.

Die Frage ist, ob Parteien diese Entwicklungen sogar befördern, um Profit daraus zu ziehen. Oder ob sie Problemlösungen gar nicht (mehr) versuchen, um dem gerecht zu werden, was man bisher politische Verantwortung bezeichnete. Zu den Phänomenen unserer Zeit gehört auch die Zunahme radikalisierter Gruppen, die vor Gewalt nicht zurückschrecken und "das System" ablehnen.

Zu Beginn des Jahrtausends prognostizierte der 2009 verstorbene liberale Denker Ralf Dahrendorf, die Welt stehe vor einem autoritären Jahrhundert. Er könnte recht behalten. (Alexandra Föderl-Schmid, 28.10.2016)