Seit 35 Jahren fotografiert Elfie Semotan das Model Cordula Reyer.

Foto: Heribert Corn

Reyer bei einem Shooting im Jahr 2014.

Foto: Elfie Semotan

STANDARD: Sie arbeiten seit 35 Jahren immer wieder zusammen. Frau Semotan, können Sie sich an das erste Bild erinnern, das Sie von Cordula Reyer gemacht haben?

Semotan: Das war für ein Schmuckshooting. Da war Cordula 19 Jahre alt.

STANDARD: Welches Schönheitsideal hat damals geherrscht?

Semotan: Auf jeden Fall nicht eines, dem Cordula entsprochen hätte. Ich fand Frauen mit außergewöhnlichen Gesichtern und Persönlichkeiten immer spannender als gängige Schönheitsideale. Damals stand das klassische Schönheitsideal hoch im Kurs, das ist auch heute noch so, und daran wird sich auch so schnell nichts ändern. Der Unterschied zu früher liegt darin, dass Fotografen nach speziellen Gesichtern suchen, die vielleicht herkömmlich gar nicht als schön angesehen werden.

Reyer: Früher waren es die Modeschöpfer, die für ihre Modeschauen nach speziellen Frauen gesucht haben, man denke nur an Yves Saint Laurent oder an Helmut Lang. Der Fotograf Steven Meisel war und ist auch immer auf der Suche nach besonderen Frauen, denen er dann oft zu einer Weltkarriere verhilft. Auf dem Laufsteg herrscht heute dagegen Uniformität, die Mädchen sollen sich so wenig wie möglich unterscheiden.

STANDARD: Das klassische Schönheitsideal ist kaum Schwankungen unterworfen?

Semotan: Nein. Es gibt Moden, man denke etwa an Twiggy in den 1960ern, die keinem herkömmlichen Ideal entsprochen hat, aber das Bild, das wir als klassisch schön erachten, ist kaum Schwankungen unterworfen.

STANDARD: Frau Reyer, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heute ihre ersten Modelbilder betrachten?

Reyer: Das sind eher emotionale Dinge. Ich hatte Probleme mit mir selbst, die in Diskrepanz zu meinem Aussehen standen. Ich habe damals wirklich keinem Ideal entsprochen, aber ich hatte das Glück, dass mich Menschen wie Elfie, Helmut Lang oder der Fotograf Gerhard Heller gut fanden. In Paris habe ich nur Absagen bekommen, bis auf Yves Saint Laurent. Er hat in mir etwas gesehen, das anderen nicht aufgefallen ist.

STANDARD: Hätte Ihr Typ heute eine Chance?

Reyer: Ich denke kaum. Ich komme gerade aus Mailand zurück, so dünn, wie die Mädchen heute sind, war ich nie. Ich war immer der weibliche Typ. Bis zu dem Zeitpunkt als Kate Moss auf der Bildfläche erschien, waren "Superwomen" gefragt. Ein großer Unterschied zu früher besteht darin, dass sich Modeln früher viel mehr wie eine Zusammenarbeit angefühlt hat. Die Generation vor mir hat sich noch die Haare und das Make-up selbst gemacht, auch bei uns war modeln eine recht intime Sache. Ob mit Peter Lindbergh oder Steven Meisel: Es ging darum, ein gutes Bild zu machen. Wir hatten unter Umständen eine Woche Zeit, um zehn Bilder zu machen. Das ist heute undenkbar.

STANDARD: Frau Semotan, war es ein bewusstes Projekt, regelmäßig Bilder von Cordula zu machen oder ist das einfach passiert?

Semotan: Ich habe versucht, so oft wie möglich mit Cordula zu arbeiten, weil ich ihre Art von Schönheit besonders gut fand. Es gab nur ein Shooting, dessen Bilder ich nie verwendet habe: Das war ein Pelzshooting. Cordula selbst schaut so dramatisch aus, die Pelzmäntel waren eine Art Konkurrenz zu ihr, das hat nicht funktioniert.

Reyer: Elfie hat mich meist allein fotografiert, sie meinte, ich würde jeden neben mir durch meine Präsenz erschlagen. Sie war eine der ersten, die mit meiner Schüchternheit zu Anfang der Karriere umgehen konnte, die mich gelassen hat, wie ich war. Es ging immer um mich, wie ich bin, und nicht um die Idee eines Fotografen, wie ich vielleicht sein könnte. Die Zusammenarbeit mit Elfie war immer ein Zusammentreffen von Freunden. Es gab damals ja noch keine Mobiltelefone, kein Skype, Kommunikation gestaltete sich schwieriger als heute. Umso mehr freute man sich, wenn es ein gemeinsames Projekt gab.

STANDARD: Frau Semotan, für Sie als Fotografin, was ist das Besondere an Frau Reyer?

Semotan: Ihr Aussehen in Kombination mit ihrer Persönlichkeit. Ihre visuelle Präsenz ist eine Gabe, die haben übrigens auch ihr Bruder und ihre Schwester. Ich kann mich an ein Shooting mit der amerikanischen "Vogue" erinnern, das ich gesehen habe, Cordula als nettes, blondes Ding. Der Fotograf hat Cordulas Besonderheit einfach nicht erkannt. Ihre Schönheit beinhaltet immer ein gewisses Drama.

STANDARD: Was hat sich an Ihrer Zusammenarbeit über die Jahre hinweg geändert?

Reyer: Nicht viel, ich fühle mich bei Elfie immer sicher, sie spürt mich, wir müssen gar nicht viel reden. Es ist wie ein Tanz. Neben Peter Lindbergh und Richard Avedon habe ich nur mit ihr Nacktaufnahmen gemacht, ich glaube, das sagt alles.

STANDARD: Mode ist immer ein Kind ihrer Zeit. Inwieweit sind und waren Sie in Ihrer Arbeit einem Zeitgeist verpflichtet?

Semotan: Ich nie besonders. Das ist der Grund, warum man die Fotos auch heute noch anschauen kann. Ich habe mit dem Zeitgeist prinzipiell wenig zu tun, er interessiert mich auch nicht sonderlich.

Reyer: Als Model ist das anders. Bei Elfie oder bei Peter Lindbergh stand mein Gesicht im Vordergrund. Mit dem Beginn von Grunge veränderte sich vieles für mich. Die Kleider waren schmäler geschnitten, ich passte nicht mehr rein.

STANDARD: Warum ist die Mode so eng mit der Zeit verknüpft? Was wir heute als schön empfinden, empfinden wir in einigen Monaten als hässlich.

Reyer: Profan gesagt: Weil die Mode ein Geschäft ist, und die Menschen Geld damit machen wollen. Mode ist im Grunde so fad, dass man alle sechs Monate etwas Neues machen muss. Man darf aber nicht vergessen, dass sich auch die Mode wiederholt, man sieht das an vielen der ausgewählten Bilder in dieser Ausgabe des STANDARD. Wenn man 35 Jahre in der Mode war, erkennt man die veränderten Formen, aber auch auf wen Bezug genommen wird. Die Strukturen sind die gleichen, werden aber variiert.

Semotan: Die Dimension, die dieses Business heute hat, hatte es noch nie. Es gibt Mode aber auch jenseits des Zeitgeists. Wenn ich auf einen Flohmarkt gehe und ein Kleid von Comme des Garçons oder einen senffarbenen Seidenmantel von Romeo Gigli finde, geht mir das Herz über.

STANDARD: Die Mode verändert sich ständig, greift aber immer wieder auf das zurück, was man bereits kennt: Schwingt da eine Sehnsucht nach Beständigkeit mit?

Semotan: Man wird immer gern von guten Dingen inspiriert. Es gab zu jeder Zeit Designer, die fantastisch waren. Ich muss sagen, dass ich vieles, was sich an Vintage orientiert, heute interessanter und von höherer Qualität finde als früher. Die Möglichkeiten heute sind vielfältiger.

STANDARD: Die Rollen von Frauen sind heute ganz andere als früher. Lassen sich diese gesellschaftlichen Veränderungen an Veränderungen des Frauenbilds ablesen?

Semotan: Die Mode verhält sich zwiespältig, was die Darstellung von Frauen anbelangt. Zum einen gibt es jede Menge Fotografie, in der Frauen wie Objekte dargestellt werden. Sie existieren als Subjekte gar nicht! Die selbstbewusste Frau ist kein besonders lohnendes Thema in unserer Zeit. Da gab es Zeiten, da war dieses Thema angesagter. In der Modefotografie wird das Bild der selbstbewussten Frau nicht gefördert.

Reyer: Als ich angefangen habe, gab es keine Models mit Kindern. Ich war die Einzige. Im Laufe der Zeit haben Models immer öfter ihre Karrieren unterbrochen, um Kinder zu bekommen, und sind dann wieder eingestiegen. Das wäre früher unmöglich gewesen. Das ist eine große Veränderung.

STANDARD: Letzte Frage: Frau Semotan, gibt es ein Lieblingsfoto von Cordula Reyer?

Name: Mir fallen sehr viele Fotos ein, aber eines, das ich besonders liebe, ist in Ungarn entstanden. Cordula trägt ein weißes Kleid, raucht, sie schaut darauf sehr speziell aus. Wir haben eine Woche in der Puszta verbracht, jeden Tag haben wir einen Tisch mit Essen, Weinflaschen und einem Sonnenschirm aufgebaut. Nachdem wir den ganzen Tag fotografiert haben, sind wir am Abend in ein kleines Bad gefahren.

Reyer: Die Fotostrecke entstand für die französische "Marie Claire". Am Abend wurde Zither gespielt, wir haben zur Musik getanzt. Ein Ungar hat uns Zigeuner geschimpft, worauf wir uns ziemlich aufgeregt haben. (Stephan Hilpold, 29.10.2016)