Wien – Sophie ist kaufsüchtig. Gut für sie, dass es die Sitzungen der anonymen Shopaholiker gibt. Besser noch für das Publikum des Tanzquartiers Wien, dass dort die brillante Wiener Performerin und Schauspielerin Anna Mendelssohn in ihrem neuen Solostück Amazon – River Deep den Irrwitz dieser Sucht zu einem wahren Gänsehauterlebnis macht.

Performerin Anna Mendelssohn.
Foto: Tim Tom

Im Sesselkreis mit Mendelssohn als Sophie und deren Leidensgenossen Jerome – Yossi Wanunu, er hat am Text mitgearbeitet und zeichnet auch für die Regie – ist zu erfahren, woher eine solche Sucht kommen kann. Sophie zum Beispiel saß an der Quelle: Sie gehörte zu den ersten Mitarbeiterinnen bei amazon.com. Aber das erfährt man erst später in Mendelssohns rund einstündigem englischsprachigen Monolog, dem Bericht einer Abhängigen, die ihre Flucht in den Dschungel plant.

Als Amazon 1994 gegründet wurde, gab es noch den Idealismus für weltweites Kommunizieren, Teilen und Handeln. Auch davon erzählt Sophie. Sie schildert, wie man bereits 1989 im Blick haben konnte, dass weniger die Wiedervereinigung Deutschlands die Welt verändern sollte, sondern Tim Berners-Lees Hypertext-Code. Was der britische Informatiker damals am Cern zu entwickeln begann, bildet die Grundlagen des heutigen Internets.

Amazon – River Deep kommt am Beginn des Katzenjammers. Aus dem erträumten Austausch aller mit allen ist ein finsterer Moloch geworden, in dem Krieg herrscht, der alles und jeden zu manipulieren sucht. Sophie gehört zu jenen, die für die Mithilfe bei der Aufzucht dieser Realdystopie ihr Privatleben geopfert haben und deren Kaufsucht nun eine Kompensation darstellt. Dabei formuliert Mendelssohn keine Anklage, sondern die überzeugende Skizze eines globalen Problems. (Helmut Ploebst, 27.10.2016)