Brüssel – Trotz einer letzten Verhandlungsfrist schwinden die Chancen für ein rasches Ende des Ceta-Dramas. "Ich glaube nicht, dass wir diese Woche noch eine Lösung haben werden", sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz am Dienstag im Deutschlandfunk.

Obwohl der für Donnerstag geplante EU-Kanada-Gipfel zur Unterzeichnung des umstrittenen Handelspakts Ceta noch nicht abgesagt wurde, glaubt man in Brüssel kaum noch an diesen Termin. "Wir sind nicht naiv", sagte ein EU-Vertreter am Dienstag.

Belgien startet Dienstagnachmittag einen neuen Versuch für eine Einigung. Belgische Medien berichteten, dass Außenminister Didier Reynders eine Sitzung mit den Regionen einberufen hat, um zu einer Lösung zu kommen. Die Wallonie blockierte bisher das Abkommen, das am Donnerstag beim EU-Kanada-Gipfel unterzeichnet werden soll.

EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte am Montagabend überraschenderweise bekanntgegeben, dass man gemeinsam mit Kanada zunächst an dem Gipfel zur feierlichen Unterzeichnung festhalte – und das, obwohl Belgien den Pakt zum Abbau von Zöllen und Handelsschranken nach wie vor nicht mittragen kann.

Man sei gemeinsam der Auffassung gewesen, die Sache sei einfach zu wichtig, um nicht bis zur letzten Minute alles zu versuchen, erläuterte der EU-Vertreter. Dass der kanadische Premier Justin Trudeau noch einmal mehr Zeit gewähre, sei ein gutes Signal. Trudeau werde aber nicht nach Brüssel kommen, wenn Ceta nicht unterschrieben werde. Wie dermaßen rasch eine Lösung gefunden werden könnte, blieb offen.

Trudeau kündigte Dienstagnachmittag über Twitter jedenfalls an, dass bis Donnerstag weiterverhandelt wird: "Ich habe mit EU-Ratspräsident Tusk heute gesprochen. Wir stimmen überein, dass die EU und die Mitglieder ihre Arbeiten bis zum Gipfel am Donnerstag fortsetzen sollten."

Veto

Die belgische Region Wallonie und andere Regionalvertreter des Föderalstaats haben ihr Veto gegen Ceta eingelegt, sodass Belgien als einziger der 28 EU-Staaten nicht unterschreiben kann. Der Pakt ist damit blockiert. Die sozialistische Regierung der Wallonie sorgt sich unter anderem um ihre Landwirtschaft und um Umwelt- und Sozialstandards sowie um die geplanten Mechanismen zur Streitschlichtung zwischen Unternehmen und Staaten.

Hektische Vermittlungsversuche in den vergangenen Tagen haben keine Lösung gebracht. Aus der EU-Kommission hieß es, man begleite weiterhin die laufenden innerbelgischen Gespräche. Die Suche nach einer Lösung erfordere jedoch Zeit und Geduld. Wenn es so zeitig klappen sollte, dass der Gipfel am Donnerstag stattfinden könne, sei das umso besser.

Diese Linie hatte ein Kommissionssprecher schon am Montag vertreten: Selbst wenn der Gipfel abgesagt werde, sei Ceta nicht vom Tisch. Auch Parlamentspräsident Schulz sagte: "Wenn man dazu 14 Tage mehr Zeit braucht, verschiebt man eben so einen Gipfel." Er sehe Ceta nicht als gescheitert an.

Kern glaub an Unterzeichnung

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) geht davon aus, dass das Ceta-Abkommen von allen EU-Staaten unterzeichnet wird – "über kurz oder lang". Auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) meint, dass man zu einem positiven Abschluss kommen "könnte". Wann die Verhandlungen nach dem bisherigen Veto Belgiens abgeschlossen werden könnten, wollten die Regierungsspitzen nach dem Ministerrat nicht einschätzen. Die nächsten Stunden würden für Gespräche genützt, meinte Kern.

Doch weitet sich der Streit um das 2014 ausgehandelte Abkommen längst in eine Grundsatzdebatte über die Handlungsfähigkeit der EU aus. Ursprünglich war geplant, dass nur das EU-Parlament den von der Kommission ausgehandelten Pakt ratifiziert. Doch im Sommer setzte unter anderen Deutschland durch, dass Parlamente in allen 28 Staaten mitreden dürfen.

Grundsatzfragen

Schulz sagte dazu: "Entweder wir wollen mehr Demokratie, dann braucht man ein bisschen mehr Zeit und man muss mehr Überzeugungsarbeit leisten." Werde festgelegt, dass es sich um eine europäische Entscheidung handle, werde die Demokratie mit einer Abstimmung im Europaparlament gewährleistet. "Das ist eine Frage, über die wir sicher in der Zukunft nochmal vom Grundsatz her reden müssen."

SPD-Handelsexperte Bernd Lange sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Wir brauchen eine klare Kompetenzverteilung zwischen der europäischen Ebene und den Nationalstaaten. Nationalismus darf dabei keine Chance haben."

Der CSU-Politiker Manfred Weber sprach sich im Bayerischen Rundfunk ganz klar dafür aus, dass nur das EU-Parlament über Verträge der Europäischen Union mit Drittstaaten entscheidet. Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff meinte im rbb-Inforadio, die Mitsprache nationaler und regionaler Parlamente "macht alles kaputt".

Der ehemalige belgische Regierungschef und Vorsitzende der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, will zur Rettung von Ceta das EU-Kanada-Abkommen als rein europäisches und nicht als gemischtes geändert haben. Dies könnte der EU-Handelsrat am 11. November entscheiden. Damit brauchte es keine Beschlüsse durch die nationalen Parlamente. (APA, 25.10.2016)