STANDARD: Sie haben vor einigen Wochen in einem Artikel geschrieben, dass Ihr achtjähriger Sohn Sie gefragt hat, ob Sie sich gemeinsam mit ihm noch vor der Präsidentschaftswahl im November einen bestimmten Kinofilm anschauen könnten. "Wenn Trump gewinnt, wird er alle Juden dazu bringen, die USA zu verlassen", lautete seine Begründung. Wie hat dieser Wahlkampf den politischen Diskurs in den USA verändert und was davon wird bleiben – selbst wenn Trump die Wahl verliert?
Zeisler: Natürlich ist es von großer Bedeutung, ob Trump die Wahl gewinnt, aber selbst wenn er nicht als Sieger aus dem Rennen hervorgeht, hat er noch immer eine große Anzahl von Menschen in ihrem Rassismus, ihrem Sexismus und ihrem Antisemitismus bestärkt. Ich glaube, diese Menschen haben das Gefühl, dass Trump ihnen eine Stimme gegeben hat. Als Barack Obama zum Präsident gewählt wurde, war die Rede von einer angeblichen "post racial society", einer Gesellschaft, die die sozialen Unterscheidungen überwunden hat, die auf dem Konzept der Rasse basieren. Natürlich ist das nicht eingetreten, aber es ist etwas anderes passiert: Viele Menschen meinen, noch offensiver, noch dreister in ihrem Rassismus auftreten zu können – schließlich sei eine Gleichstellung ja nun erreicht worden. Wenn also Hillary Clinton die Wahl gewinnt, wird wohl dasselbe passieren. Es wird heißen: Wir haben eine Frau zur Präsidentin gewählt, wir haben die Gleichstellung der Geschlechter erreicht. Es wird einen Backlash geben, Angriffe gegen Feminismus und Frauenrechte und öffentlich zur Schau getragenen Sexismus.
STANDARD: Die sexistischen, frauenverachtenden und rassistischen Aussagen Donald Trumps waren in den vergangenen Monaten medial omnipräsent. Welche Rolle haben reichweitenstarke Medien im Laufe des Wahlkampfs gespielt?
Zeisler: Ich denke, die Mainstream-Medien in den USA haben Donald Trump zu Beginn nicht wirklich ernst genommen, aber sie haben ihm sehr viel Raum gegeben. Über jede noch so lächerliche Aussage wurde berichtet. Das hat sein Ego und sein Bedürfnis nach permanenter Aufmerksamkeit genährt. Wenn MedienvertreterInnen nun sagen: "Oh mein Gott, wie konnte das passieren!", denke ich mir: Ihr habt es möglich gemacht, indem ihr über ihn berichtet und seine Meinungen bestätigt habt. Es ist natürlich eine Herausforderung für JournalistInnen, mit dem Phänomen umzugehen. Wir wollen Medien, die über den Wahlkampf berichten, aber im Fall Trump wurde häufig zu unkritisch agiert. Es wurde darüber berichtet, was er sagt und tut, aber nicht, dass seine Aussagen faktisch falsch sind. Das hat seinen Wahlkampf letztendlich befördert.
STANDARD: Wie sind Sie bei Bitch Media mit Trump umgegangen? Haben Sie in der Redaktion darüber diskutiert, wie viel Aufmerksamkeit Sie ihm geben möchten?
Zeisler: Nachdem wir eine Non-Profit-Organisation sind, dürfen wir nicht offiziell einen Kandidaten oder eine Kandidatin unterstützten – das hat mit unserem Steuerstatus zu tun. Wir können also nur über Trump und Clinton berichten und den Wahlkampf analysieren, aber nicht als Unterstützerinnen auftreten. In unserer Berichterstattung haben wir uns auf große Zusammenhänge konzentriert. Wir haben nicht einfach nur die Geschichten gebracht, die überall zu lesen waren – insbesondere, was Donald Trump betrifft. Wir haben etwa auf sein sexistisches Verhalten hingewiesen, das keineswegs ein Phänomen des Wahlkampfs ist, sondern das er seit Jahrzehnten zeigt. Vielen Menschen ist das gar nicht bewusst. Bezogen auf Hillary Clinton haben wir immer wieder die Frage gestellt, warum manche Frauen bzw. Feministinnen sie nicht unterstützen und was ihre Gründe dafür sind.
STANDARD: Auf Bitch Media schreibt eine Ihrer Autorinnen unter dem Titel "Du kannst eine Feministin sein und Hillary Clinton trotzdem nicht unterstützen" dazu: "Wir befinden uns jenseits einer politischen Ära, in der wir Politikerinnen einfach nur deshalb unterstützen, weil sie Frauen sind." Was stört manche Feministinnen an Hillary Clinton, und welchen Feminismus repräsentiert sie?
Zeisler: Ich glaube nicht, dass wir überhaupt über den Feminismus von Hillary Clinton sprechen würden, wenn sich Feminismus in den USA nicht in den vergangenen Jahren zu einer Art Trend entwickelt hätte, zu einer Identität, die sich vermarkten lässt. Wir würden über Hillary Clinton als Politikerin sprechen, die zufällig eine Frau ist, aber die vor denselben Herausforderungen wie männliche Politiker steht. Aus irgendeinem Grund werden Frauen seit einiger Zeit mit Feminismus gleichgesetzt – wenn du eine Frau bist, bist du automatisch Feministin. Diese Gleichung funktioniert aber nicht. Du kannst eine Person wie Hillary Clinton sein, die sich für Frauen eingesetzt hat, die Gleichberechtigung als Menschenrecht ansieht, und trotzdem nicht permanent feministische Kämpfe führt. Ich glaube nicht, dass du es im politischen System so weit wie Hillary Clinton bringen kannst, ohne Abstriche bei deinen politischen Idealen zu machen. Du erreichst eine solche Position nicht, ohne sehr viele Kompromisse zu schließen und auch viele Menschen zu enttäuschen. Es gibt nun einmal viele Frauen, die von Hillary Clinton enttäuscht sind, von manchen ihrer politischen Haltungen, besonders von ihrer Außenpolitik. Sie hat Kriege unterstützt, sie hat Drohnenangriffe unterstützt – das sind nicht gerade Dinge, die wir mit Feminismus assoziieren. Ich denke also, dass Clinton durchaus kritischer durchleuchtet wird, weil sie eine Frau ist – und Frauen von ihr erwarten, dass sie eine Feministin ist.
STANDARD: Was würde es Ihnen bedeuten, wenn Hillary Clinton zur ersten Präsidentin der USA gewählt werden würde?
Zeisler: In den USA sehen wir uns als sehr progressiv an, aber es gibt so viele andere Länder, in denen Frauen längst an der Spitze des Staates stehen. Das bringt die amerikanische Scheinheiligkeit auf den Punkt: Wir glauben dem Rest der Welt voraus zu sein, sind aber in so vielen wichtigen Punkten äußerst rückständig. Einer davon ist, Frauen als politische Führungsfiguren zu akzeptieren. Ich denke, ein Sieg Clintons wäre also auch ein wichtiger symbolischer Sieg für die Gesellschaft. Unsere Vorstellungen von Führungsqualitäten sind nach wie vor – zum Teil auch unbewusst – sehr eng mit Männlichkeit verknüpft. Die Wahl Barack Obamas war eine sehr bedeutende für Amerika. Als ich aufgewachsen bin, war es noch undenkbar, dass wir eines Tages einen schwarzen Präsidenten oder eine Präsidentin haben würden. Dass dies nun nicht mehr so ist, macht einen großen Unterschied – gerade auch für junge Menschen.
STANDARD: Sie haben bereits die Vermarktung von Feminismus angesprochen, diese Kommerzialisierung steht im Zentrum Ihres neuesten Buchs "We Were Feminists Once", in dem Sie den Ausverkauf einer politischen Bewegung kritisieren. Wie arbeiten Sie als feministische Medienmacherin gegen diese Entwicklung an?
Zeisler: Bei "Bitch" war es immer zentral für uns, Medien, Popkultur und Werbung kritisch zu analysieren. Wir stehen vor der Situation, dass wir Feministinnen sind, aber selbst ein Produkt verkaufen: ein Magazin. Was unterscheidet uns also von multinationalen Konzernen, die ebenfalls ein Produkt verkaufen, das sie vielleicht mit dem Label "feministisch" versehen? Für uns hat der Unterschied damit zu tun, wie wir über Feminismus als politische Bewegung sprechen, die für Veränderung steht. Wir präsentieren Feminismus nicht als eine Identität, die man einfach einnehmen oder die man kaufen kann. Wir schauen unter die Oberfläche und hinterfragen Erzählungen kritisch – und das möchten wir letztendlich auch unseren LeserInnen vermitteln. (Brigitte Theißl, 26.10.2016)