Die Räumung des Flüchtlingslagers in Calais ist eine gute Nachricht – zuerst für die tausenden Sudanesen, Afghanen, Äthiopier und Kurden, die bereit sind, ihre Englandpläne zumindest fürs Erste zu vergessen und in Frankreich zu bleiben. Ihr Umdenken allein offenbart die unwürdigen Verhältnisse, unter denen sie in den Sanddünen des Ärmelkanals monatelang vegetierten.

Erleichtert sind auch Präsident François Hollande und Innenminister Bernard Cazeneuve, dem es gelungen ist, 280 Auffangstationen in ganz Frankreich aufzubauen und die richtige Mischung aus Rücksicht und Entschlossenheit zu finden. Bloß: Das Asylproblem bleibt trotzdem ungelöst. Viele der Migranten und Flüchtlinge werden aufgrund des Dublin-Abkommens in ihr EU-Ersteintrittsland zurückgeschafft werden – und von dort aus bald wieder an den Ärmelkanal reisen, um es erneut nach England zu versuchen.

London wird seine Grenzen in Zeiten des Brexit hermetischer denn je abdichten. Doch mit dem Austritt aus der EU verliert Großbritannien auch den Anspruch auf den Goodwill Frankreichs, das englandorientierte Migranten seit 2003 auf der kontinentalen Seite abfängt. Nach der Lagerräumung pocht Paris nun darauf, dass die Briten "ihr" Migrationsproblem selbst regeln – das heißt in England. Die herumirrenden Flüchtlinge bleiben, so ist zu befürchten, ein Spielball der Politik zwischen Brexit und französischen Präsidentschaftswahlen. (Stefan Brändle, 24.10.2016)