Wien – Taubblind zu sein bedeutet, dass die Kommunikation mit anderen Menschen über Distanz kaum möglich ist. Wenn Sehen und Hören nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich sind, bleibt der Tastsinn als beste Verbindung zur Außenwelt. Hieronymus Lorm, ein Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, der im Lauf seines Lebens ertaubte und erblindete, hat dafür eine "Sprache" geschaffen: Er systematisierte einfache Berührungen an der Hand zu einem taktilen Alphabet. Das "Lormen" wurde zur verbreiteten Kommunikationsform taubblinder Menschen.

Im deutschsprachigen Raum gibt es etwa 10.000 bis 15.000 Betroffene, die sowohl beim Sehen als auch beim Hören mit schweren Einschränkungen leben, schätzt Tom Bieling. Der Designforscher, der am Design Research Lab der Berliner Universität der Künste den Forschungscluster Social Innovation leitet, arbeitet mit Kollegen an einer Methode, wie die Kommunikation taubblinder Menschen erleichtert und das "Lormen" ins Zeitalter der Informationstechnologien überführt werden kann.

Bei der Entwicklung der Berliner Forscher übersetzt ein handschuhartiges Interface die Berührungen an der Hand in Sprachausgabe, SMS- oder E-Mail-Text. Ebenso werden eingehende Nachrichten in taktile Reize übersetzt. Das Konzept wurde kürzlich beim Wissenschaftspreis Inklusion durch Naturwissenschaften und Technik (WINTEC) 2016, den das österreichische Sozialministerium vergibt, zum Sieger gekürt.

Tippen, quetschen, streichen

Das Lorm-Alphabet weist den verschiedenen Handregionen jeweils einen Buchstaben zu. "Die Daumenspitze ist ein a, ein Kreis auf der Handfläche ist ein s", sagt Bieling. Aus verschiedenen Tipp-, Quetsch- und Streichbewegungen auf der Hand können Taubblinde blitzschnell Wörter buchstabieren. Der "Lorm Glove", den die Berliner Designforscher entwickelt haben, besteht aus Sensorflächen, die erkennen, wo er berührt wird. "Tippt man auf die Daumenspitze, wird das digital erfasst und in ein a übersetzt", sagt Bieling. Ein Bluetooth-Modul sendet die Informationen an ein Handy, wo eine eigens programmierte Anwendung den Text in die gewünschte Form bringt, um zu Sprachausgabe, Mailtext oder einer Facebook-Statusmeldung zu werden. Auch Menüführungen und andere Bedienungsanweisungen ans Smartphone sollen über Lorm-Shortcuts erfolgen.

Umgekehrt werden auch eingehende Nachrichten ins Lorm-Alphabet umgewandelt und an den Handschuh gesendet. Dort aktivieren sich kleine Vibrationsmotoren, die über den Handschuh verteilt sind. Die etwa knopfgroßen Motoren vibrieren in der Abfolge der Buchstaben an den entsprechenden Handpartien – die Handschuhträger können den Text so erfühlen. "Die Ausgabe kann entsprechend der Vorliebe des Benutzers justiert, die Vibration stärker oder schwächer, schneller oder langsamer gestellt werden", so der Entwickler.

Zusätzlich zum Handschuh wurde ein stationäres Gerät entworfen: die "Lorm Hand", eine Handskulptur, die als Eingabeterminal für einen Computer dient. "Das Gerät war bei einer Demonstration von Taubblinden im Einsatz. Sie konnten sich damit über Social-Media-Kanäle eine Stimme im Internet geben. Für Nichtbetroffene war es dagegen ein interaktives Anschauungsobjekt, um sie für die Kommunikationsproblematik bei Taubblinden zu sensibilisieren", erklärt Bieling.

Der "Lorm Glove" ist noch im Prototypstadium. "Wir konnten zeigen, dass es funktioniert. Jetzt geht es darum, das Gerät alltagstauglicher zu machen", so der Entwickler. Algorithmen, die im Hintergrund laufen, sollen dafür sorgen, dass trotz falscher oder falsch erkannter Eingabe von Buchstaben ein Wort richtig erkannt wird.

Gerät weckt Hoffnungen

Auch die Handschuhform wird hinterfragt. "Als jüngste Variante haben wir ein semiflexibles Pad entwickelt, das man bei Bedarf auf die Handfläche schnallt", sagt Bieling. Umständliches An- und Ausziehen sowie Probleme mit Atmung und Flüssigkeitstransport erübrigen sich damit.

Bis das Wearable für Taubblinde schließlich zu einem Produkt wird, ist noch ein längerer Weg zu gehen, betont Bieling. "Mit dem Gerät sind viele Hoffnungen verbunden. Wir halten uns deshalb mit Vorhersagen zurück." (pum, 28.10.2016)