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Abstrakte grammatische Regeln passen nicht zum kognitiven Entwicklungsstand von Schulkindern, sagen Experten. Die Linguistik schlägt effektivere Sprachlernstrategien vor.

Foto: dpa / Frank May

Salzburg – Grammatikbüffeln gehört erfahrungsgemäß zu den freudlosesten Tätigkeiten in einem Schülerleben. Aber da muss man eben durch, um eine Fremdsprache zu erlernen. Das glauben zumindest viele. Tatsächlich sei die öde Plackerei für Kinder unter 14 Jahren laut neurolinguistischer Untersuchungen relativ sinnlos, da sie in diesem Alter von ihrer kognitiven Entwicklung her noch gar nicht in der Lage sind, die mit abstrakten Termini formulierten Regeln zu verstehen und anzuwenden.

Was der Linguist Hubert Haider, Professor für Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft an der Universität Salzburg und Mitglied des dortigen Centre for Cognitive Neuroscience, über das Lernen von Sprachen sagt, dürfte so manchen Lehrer ratlos machen. Zumal der Sprachwissenschafter auch dem ab den 1980er-Jahren verbreiteten "kommunikativen Unterricht" mit viel Reden und wenig Anleitung keine allzu große Wirksamkeit zuschreibt: "Beide Methoden entsprechen nicht den aktuellen Befunden der Linguistik über Sprachentwicklung, Spracherwerb und Sprachförderung von Schulkindern", sagt der kognitive Linguist.

Würde man mit dem Sprachenlehren schon im Kleinkindalter anfangen, müsste man sich über die Vermittlung der Grammatik weniger Gedanken machen: "Das Kleinkinderhirn konstruiert sich diese Regeln nämlich ganz von selbst", so Haider. "Bis zum Alter von sieben, acht Jahren können Kinder ganz leicht mehrere Sprachen so gut wie ihre Muttersprache lernen – danach ist es mit dieser Fähigkeit aufgrund der Hirnreifung allerdings vorbei." Das gereifte Gehirn kann sich die Grammatik und die Sprache nicht mehr selbst organisieren.

Strukturen erkennen

Was also tun, wenn weder das Einbläuen von Regeln noch unbeschwertes Kommunizieren das Fremdsprachenlernen fördern? "Man muss die Aufmerksamkeit der Schüler auf die im Fokus stehenden Strukturen lenken, damit sie bestimmte wiederkehrende Muster erkennen", sagt Haider. Für ein effektives Vorgehen dabei sollte man allerdings wissen, wie sich das Gehirn das Regelsystem einer Grammatik organisiert.

Während beim Erwerb von Faktenwissen vor allem das deklarative Gedächtnissystem beansprucht wird, kommt es beim Sprachenlernen nämlich zu sehr komplexen prozeduralen Abläufen. "Da muss jeder Lernschritt sehr genau auf den anderen abgestimmt werden", so der Wissenschafter. "Leider herrscht in vielen Schulbüchern unter Strukturgesichtspunkten ein völliges Durcheinander, da kann sich ein lernendes Gehirn nicht zurechtfinden." Gleichzeitig werde in der Spracherwerbsforschung seit Jahrzehnten das nötige Wissen erarbeitet – ohne jedoch in die Lehrerausbildung einzufließen.

Theorie und schulische Praxis

Um Wissenschaft und schulische Praxis zusammenzubringen, haben Linguisten der Universität Salzburg gemeinsam mit der Pädagogischen Hochschule Salzburg kürzlich die erste "Forschungsbasierte Fortbildungstagung für Sprachlehrpersonen in Österreich" veranstaltet. "Im Zentrum standen dabei nicht Methodik und Didaktik, sondern die Sprachlernprozesse auf einer empirischen und analytischen Ebene", berichtet Ulrike Greiner, Direktorin der School of Education an der Universität Salzburg und Mitorganisatorin der Veranstaltung.

Auch Kooperationsprojekte mit Schulen – vier wurden bereits gestartet – sollen die überfällige Annäherung zwischen Forschern und Lehrern vorantreiben. "Wir haben an der Universität Salzburg nicht nur einen sehr aktiven Fachbereich Linguistik, sondern auch ein Zentrum für neurokognitive Forschung, wo viel Grundlagenwissen zum Sprachenlernen erarbeitet wird beziehungsweise bereits vorhanden ist", sagt Greiner. "Unser Ziel ist es, dieses Wissen in die Schulen und vor allem in die Lehrerausbildung zu bringen."

Geplant ist deshalb auch ein Sprachlernzentrum, in dem etwa Lehramtsstudierende an empirischen Forschungsprojekten mitarbeiten, Forscher ihre Daten aus den Schulen und Lehrer neue Lösungen für offene Fragen bekommen können.

Feedback durch Fehler

"Eine gute Lehrerausbildung muss darauf eingehen, dass Lehrpersonen Experten für Lernen sind", sagt Haider. Und als solche sollten sie die Fehler der Schüler so behandeln wie Ärzte die Symptome ihrer Patienten: nicht als Ärgernis, sondern als wichtigste Feedback-Quelle. Angesichts der wachsenden Herausforderungen im Hinblick auf die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen sowie die zunehmende Zahl von Schülern mit nichtdeutscher Muttersprache sind richtige "Diagnosen" und wirksame "Therapien" gefragter denn je.

Wie kann man zum Beispiel die schriftsprachlichen Fertigkeiten fördern, ohne die es weder ein schulisches noch ein berufliches Fortkommen gibt? "Wenn es um bildungssprachliche Kompetenz geht, stehen vor allem Kinder mit Deutsch als Zweitsprache und solche aus einem 'bildungsfernen' Umfeld vor großen Hürden", so Andrea Ender, Germanistikprofessorin an der Uni Salzburg. "Lehrer brauchen deshalb das Wissen und die Mittel, um mit dem unterschiedlichen Sprachstand ihrer Schüler umgehen zu können und die Bildungssprache nicht nur in Deutsch, sondern in jedem Fach zu fördern." Deutschlehrer sollten überdies die Sprachstände konkret einschätzen können, um die Schüler auch individuell zu fördern.

Methoden ohne wissenschaftliche Fundierung

Um Lernen auf der sprachlichen wie auch auf der fachlichen Ebene effektiver zu machen, sei ein sprachsensibler Unterricht unverzichtbar. "Die genaue Verzahnung der sprachlichen und fachlichen Lernprozesse muss allerdings noch besser erforscht werden." Daraus ergibt sich einer von vielen konkreten Aufträgen etwa an die linguistische, neurobiologische und lernpsychologische Grundlagenforschung, auf deren Erkenntnissen letztlich eine evidenzbasierte und damit effiziente Schulpraxis aufbaut.

"Dass Lehrer heute weitgehend ohne wissenschaftlich fundierte Methoden unterrichten, ist das beklagenswerte Ergebnis unserer gegenwärtigen Lehreraus- und -fortbildung im Sprachenbereich", resümiert Haider. "Diese liegt im ganzen deutschsprachigen Raum leider sehr weit hinter dem Stand der Wissenschaft." Der erste Schritt zu Verbesserungen wurde nun immerhin gesetzt, und das beachtliche Interesse sowohl auf Lehrer- als auch auf Forscherseite stimmt zuversichtlich. (Doris Griesser, 27.10.2016)