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Herbert Kraus, Mitgründer des Verbands der Unabhängigen (VdU), spricht 1949 auf dem Wiener Rathausplatz. Selbst kein "Ehemaliger" und kein Deutschnationaler, sollte er in den folgenden Jahren miterleben, wie sich der VdU genau in diese Richtung entwickelte.

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Wien – Die zeitgeschichtliche Forschung über die nationalsozialistische Vergangenheit Österreichs und Deutschlands hat seit Jahrzehnten vor allem das weite Feld von Aufstieg und Fall des Regimes im Fokus – sowie die unzähligen Verbrechen des völkermordenden Führerstaates.

Weniger im Mittelpunkt der Untersuchungen stand bisher, wie es mit überzeugten Nazis nach der Befreiung weiterging, also wie sich die Ehemaligen und mehr oder weniger Belasteten unter den neuen, demokratischen Verhältnissen in Politik und Verwaltung verhielten. Dabei machten etliche von ihnen bald wieder Karriere, etwa in Parteien und Ministerien. In der Gesellschaft gewannen sie dadurch gestalterischen Einfluss.

Ein Vergleich der damaligen Entwicklungen in Österreich und Deutschland trage sehr zum Erkenntnisgewinn bei, erläutert die Dozentin für Zeitgeschichte an der Uni Wien, Margit Reiter. Doch bisher hätten Forscher über die "Zeit danach" in beiden Staaten ohne nennenswerte Vernetzung gearbeitet: ein Defizit, dem bei einer von Reiter und den Historikern der Uni Wien Linda Erker und Matthias Falter organisierten Tagung über "Die 'Ehemaligen': NS-Kontinuitäten – Transformationen – Netzwerke nach 1945" vergangene Woche in Wien entgegengewirkt wurde.

VdU und FDP im Vergleich

So etwa im Rahmen einer von Profil-Journalistin Marianne Enigl moderierten Diskussion über postnationalsozialistische Sammlungsbewegungen in Gestalt – oder im Rahmen – von Parteien. Die Absichten der damaligen Proponenten, so kristallisierte sich heraus, waren in Österreich und in der neu gegründeten Bundesrepublik ähnlich, das Ergebnis jedoch unterschiedlich.

In Österreich, so schilderte Reiter in ihrem Vortrag, ging der 1949 als Auffangbecken von erstmals wieder zur Wahl zugelassenen Nationalsozialisten gegründete Verband der Unabhängigen (VdU) 1956 in der damals ebenfalls neuen FPÖ auf: eine ungebrochene Entwicklung hin zu einer Stärkung der "nationalen" Ausrichtung, die damals eine eindeutig deutschnationale Ausrichtung gewesen sei.

Durch Eingriff der britischen Besatzungsmacht abgebrochen wurde hingegen eine Parallelentwicklung mit putschistischen Folgeabsichten in der nordrhein-westfälischen Freien Demokratischen Partei (FDP) Anfang der 1950er-Jahre. Auch hier, so der deutsche Geschichtswissenschafter und Mitarbeiter der Theodor-Heuss-Stiftung, Kristian Buchna, sei es zuerst um die Einbindung Deutschnationaler und nationalsozialistisch Belasteter gegangen.

Immer extremere Forderungen

In der Folge jedoch seien von den Parteirechten zunehmend extreme Forderungen gekommen. Im 1952 verabschiedeten "Deutschen Programm" etwa sei für die BRD ein auf direkten Volksbefragungen basierendes, plebiszitäres Präsidialsystem auf deutschnationaler, völkischer Grundlage vorgeschlagen worden. Ähnliches wird modernisiert von Rechten heute, in Österreich der FPÖ, erneut gefordert.

Dann, so Buchna, hätten die britischen Behörden von einem großangelegten, mehr als 3000 Personen umfassenden Unterwanderungsversuch der FDP und anderer Parteien durch ehemalige Nazis erfahren. Nach der Festnahme des Drahtziehers Werner Naumann, der in Adolf Hitlers Testament zum Nachfolger des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels ernannt worden war, sei die Politik nationaler Sammlung in der BRD "irreversibel diskreditiert" gewesen.

Von Nazis im Ministerium

Einblicke in hierzulande bis dato unbekannte Forschungen gaben bei der Tagung die deutschen Historiker Maren Richter und Michael Wala in ihren jeweiligen Vorträgen. Beide fokussieren in ihren Studien auf eine behördengeschichtliche Aufarbeitung der Nachkriegszeit, sprich: auf die Frage der Beteiligung und den inhaltlichen Einfluss ehemaliger Nationalsozialisten als Beamte und Mitarbeiter öffentlicher Stellen.

Richter gehört einem achtköpfigen Historikerteam an, das die diesbezügliche Geschichte – und Belastung – des ehemaligen deutschen Bundesinnenministeriums in Bonn und seines DDR-Pendants in Ostberlin untersucht – im Auftrag des Ministeriums selbst. Im Innenministerium in Wien ist Vergleichbares nicht geplant. In Bonn seien 54 Prozent aller zwischen 1949 und 1970 in leitender Position tätigen Beamten NS-belastet, 27 Prozent Ex-SA-Mitglieder gewesen, so Richter.

Wala, der sich in seinen Arbeiten auf die Geschichte europäischer Geheimdienste nach 1945 konzentriert, berichtete über Ex-Nationalsozialisten in deren Sold. Auf Grundlage von Akten des CIA, des britischen National Archive und des deutschen Bundesamts für Verfassungsschutz identifizierte er unter den frühen deutschen "Staatsschützern" zwei NS-Seilschaften. Ihren Einfluss auf die Arbeit der "Geheimen" benannte er folgendermaßen: "In betroffenen Abteilungen herrschte weiter das Führerprinzip." (Irene Brickner, 26.10.2016)