Dark Night, Tim Sutton, 2016

Foto: viennale

Das Sakko von Hans Hurch in der Eröffnungsgala bleibt in Erinnerung – vor allem, weil man es tatsächlich schon lange kennt. "Manchester By the Sea" von Kenneth Lonergan, der Eröffnungsfilm, war ein ganz konventionelles Drama, sehr, sehr gut gespielt, aber auch sehr amerikanisch: Wenn Männer überfordert sind, hilft eine Schlägerei in der Kneipe; wenn es besonders traurig wird, muss die Musik noch trauriger sein; Frauen sind hauptsächlich zickig und so weiter. 137 Minuten lang wird auf den Tränendrüsen herumgetrampelt.

Freitag Vormittag war dann der erste Film für die STANDARD-Publikumsjury, "Romansu", an der Reihe. Das Viennale-Gefühl in der Urania hielt sich in Grenzen, keine Begrüßung des Publikums, nur das Knirschen und Knattern des vertrauten Vorspanns wies darauf hin, dass die Viennale nun wirklich anfängt. Und am Ende kein Applaus – es war ein netter, belangloser japanischer Film. Aber es warten ja noch 19 weitere Filme auf die STANDARD-Publikumsjury.

Filme über Filme

"Aquarius" am Abend war ein wundervoller brasilianischer Film, getragen von der grandiosen Schauspielerin Sônia Braga – eine echte Lady. Themen: Alter, Krebskrankheit, schönes Leben am Strand und mafiose Praktiken, die im Versuch, das Haus durch Termiten zu zerstören, gipfeln. Durchaus eine Anspielung auf die Vertreibung der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff aus dem Präsidentenamt, wie der Regisseur in der anschließenden Diskussion wissen ließ.

Politisch ging es am Samstag weiter: "Weiner", der sich "Wiener" ausspricht. Eine Doku über den Bürgermeisterwahlkampf von New York. Wegen Unterhosenfotos im Internet musste Anthony Weiner als Kongressabgeordneter zurücktreten und als Wiederholungstäter mit deftigeren Bildern verlor er die Bürgermeisterwahlen. Durchaus interessant. Ich versuche normalerweise fremde Kulturen zu respektieren, was mir bei dieser US-amerikanischen Medienhetze nicht wirklich gelingt.

Doch der nächste Film überzeugte: "Dark Night" ist eine großartige Regie- und Kameraleistung und auch inhaltlich beeindruckend. Täter und Opfer eines Amoklaufs, den man nicht sieht, der aber präsenter ist, als in allen sonstigen Actionfilmen. Viel zum Nachdenken, Bilder, die sich einprägen und ein Gesang, der in seiner Einfachheit und Schönheit lange nachklingt. Ein absolutes Highlight diese "Dunkle Nacht".

Französische Lebensentwürfe in "Rester vertical", das ich mir als "Vertikal schlafen" übersetzt hatte, brachte mich oft zum Lachen über äußerst ungewöhnliche Geschlechterrollen-Interpretationen, allübergreifende Sexualität zwischen Mann und Frau, Mann und Mann, jung und alt, et cetera – in übrigens sehr schönen Sexszenen ohne Peinlichkeiten. Über überraschende Wendungen im Leben des Drehbuchautors im Kampf mit dem Produzenten, seine Fürsorglichkeit für sein Kind, das Sterben mit Pink Floyd im Orgasmus, und im Hintergrund lauern die Wölfe. Wenn man "aufrecht stehen" bleibt und der Gefahr ins Auge sieht, greifen sie vielleicht nicht an … Eine Träumerei von einem Leben in allen Variationen. Schön, dieser Film von Alain Guiraudie.

Ich warte auf vermehrtes Schönes. (Maria Hirsch, 27.10.2016)