Das Klima in der Koalition hat sich in den vergangenen Wochen verändert. Der vielbeschworene Anfangszauber ist schon vor der Sommerpause entfleucht; die Hoffnung auf einen Aufbruch im Herbst hat sich verflüchtigt. Wo nichts ist, kann auch nichts werden.

Inzwischen sind die Koalitionäre in den Kampfmodus übergegangen und watschen sich wechselseitig ab: Obergrenze für Flüchtlinge, Integrationspaket, Mindestsicherung, Bildungspolitik und Ceta: Die Liste der Uneinigkeiten und gescheiterten Vorhaben wird jeden Tag länger. Einzig durch die Verständigung auf ein Maßnahmenbündel zur Schulautonomie wurde ein vollständiges Scheitern kaschiert. "Simmering gegen Kapfenberg", beschrieb Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) am Freitag in seiner Grundsatzrede die Stimmung – und damit auch das Niveau.

Die Opposition sitzt in der Regierung. Nicht nur, dass sich Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) bei der Budgetdebatte einen öffentlichen Watschentanz lieferten, wer nun für dieses mutlose Machwerk verantwortlich ist. Wenn ein Budget in Zahlen gegossene Politik ist, dann ist das Scheitern schon festgeschrieben. Dann könnte man dieses auch offiziell feststellen – nur, wer bewegt sich zuerst?

Kern hebt in Umfragen ab und schafft erstmals erkennbar, die SPÖ mit nach oben zu ziehen. Aber reicht das schon, um gegen die FPÖ reüssieren zu können? Einen beträchtlichen Teil der Zustimmung hat Kern dem Umstand zu verdanken, anders als Werner Faymann zu sein: eloquent mit gutem Auftreten. Seine an die Genossen gerichteten Ansagen wie Wertschöpfungsabgabe oder Ceta sind nun aber dem Realitätscheck in Regierungsverantwortung ausgesetzt. So wurde aus einem von der Basis unterstützten Nein zum Freihandelsabkommen ein Ja, aber in den Parteigremien.

Kern steht bei Ceta wie ein falscher Heilsprediger da. Dass sich die Basis angesichts ihres Votums nicht ernst genommen fühlt, ist verständlich. Dass ihr Widerstand schlicht ignoriert wurde, werden Kern die Gewerkschafter und Arbeiterkämmerer, die ohnehin unter ihrem Bedeutungsverlust seit Faymanns Abgang zu leiden haben, nicht vergessen. Auch nicht der Boulevard, der die Unterstützung für Kern nach dem Schwenk bereits wieder reduziert hat.

Auf einer Welle von öffentlicher Unterstützung surft dagegen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) und lotet angesichts der ihm bewussten Schwäche der eigenen Partei mögliche Bündnisse mit den Neos und Irmgard Griss aus. Dass just ÖVP-Chef Mitterlehner am Freitag seiner Partei Mut zusprach, zeugt von einer gewissen Verzweiflung – auch in eigener Sache.

Wie jüngst bei einer Diskussion im Parlament, vom Zweiten Nationalratspräsidenten Karlheinz Kopf (ÖVP) organisiert, deutlich wurde, wollen die Schwarzen raus aus dem Bündnis mit der SPÖ – fast um jeden Preis. Reformen könnten, so wird geäußert, nur in anderen Konstellationen umgesetzt werden – gemeint ist die FPÖ. Für die SPÖ hat die ÖVP dagegen "das Land in Geiselhaft genommen", wie der sonst so zurückhaltende Sozialminister Alois Stöger diese Woche formulierte.

Nichts geht mehr. SPÖ und ÖVP sollten rasch nach der Bundespräsidentenwahl Klarheit schaffen. Mit einer Fortsetzung des Schlagabtausches in der Regierung beschädigen sich die Koalitionäre nicht nur wechselseitig, sondern die Politik insgesamt. (Alexandra Föderl-Schmid, 21.10.2016)