Ein Video. Ein Mann versuchte sich unter die Straßenbahn zu werfen. Die Beiträge darunter explodierten. Die Beiträge darunter waren explosiv. Man kam mit dem Lesen nicht nach. Ich dachte zuerst an einen Irrtum. Die Worte waren empathielos, brutal, zynisch, verächtlich. Manche ungelenk gesetzt und manche nicht. Ich las und spürte, dass eine Grenze verschoben wurde, die man besser nicht überschreitet.
Dann war das Video ebenso plötzlich gelöscht, und mit ihm verschwand der Spuk darunter. Die Bereitschaft, die Grenze des Erträglichen zu überwinden, verschwand nicht. Kurze Zeit später tauchten diese Maschinengewehrsalven in Wortgestalt wieder auf: auf der Facebook-Seite von Heinz-Christian Strache. Schlimmer als zuvor. Er selbst hatte nur ein Wort hinterlassen. "Fassungslos". Den Rest erledigten hunderte Anhänger. Ich will nicht glauben, dass all die Schreibenden einen Menschen wirklich tot oder verletzt sehen wollten. Aber sie schrieben davon. Sie schrieben sich gegenseitig in Rage. Sie ließen mich nachfühlen, was einen gewalttätigen Mob umtreibt. Sie waren durchaus angsterregend und gleichzeitig lächerlich. Sie liefen mit der Meute und überboten sich mit Grauslichkeiten. Männer. Frauen.
Sprache kann etwas unglaublich Sensibles und Zerstörerisches sein.
Sprache kann verletzen und sogar töten.
An ihr erkennt man, wohin sich der Sündenbockstatus verlagert. Die Gewaltbereitschaft. Worte sind Lackmustests der Verrohung.
Ich befinde mich gerade auf der Frankfurter Buchmesse.
Hier gibt es Riesenhallen voll mit Worten.
Diese Worte bilden abgeschlossene Universen. Sie zeigen Schönes und Schreckliches. Manchmal auch etwas Misslungenes oder Fades oder Nervendes. Das Risiko danebenzuhauen gehört immer dazu. Aber es ist jedes Mal beglückend zu sehen, dass es auch andere Worte gibt als jene der Hasserfüllten. Andere Welten. Und andere Möglichkeiten. (Julya Rabinowich, 21.10.2016)