Maria Cordero lebt als "Illegale" in Brownsville. Ihre rechtliche Situation ist verworren.

Foto: Der Standard/Frank Herrmann

Ein Grenzzaun, der einmal ein Monstrum aus Stahl ist, dann wieder löchrig wie Schweizer Käse: Für viele Menschen im Grenzland zwischen Mexiko und den USA macht das keinen Sinn.

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Es ist nicht so einfach mit dem Grenzzaun. Einmal ist er ein ziemliches Monster, eine Konstruktion aus sechs Meter hohen, pfeilerdicken Stahlstangen, die von Querstreben zusammengehalten werden, ein andermal besteht er aus nichts anderem als einer Reihe mannshoher Metallmatten der Armee. Einerseits schlängelt er sich kilometerweit durch die schütteren Wiesen am Rio Grande, andererseits ist er von Lücken unterbrochen, weil man ihn nicht direkt an den Fluss gebaut hat und es Anwohner gibt, die ihre Häuser in Ufernähe erreichen müssen – Anwesen hinter der Stahlstangenkette, aber auf amerikanischem Boden.

Ein Grenzzaun, der löchrig ist wie ein Schweizer Käse, für Maria Cordero macht es keinen Sinn. Überhaupt hält sie die Barriere für überflüssig: "Im Grunde ist es nur Theater. Reiner Aktionismus ist das, damit es aussieht, als löse man ein Problem." Das Problem aber, sagt Maria Cordero, lasse sich so einfach nicht lösen, auch nicht, wenn Donald Trump Präsident wird und den Zaun durch eine lückenlose Mauer ersetzt.

Unruhiges Leben

Maria Cordero lebt in einer Grenzstadt im Südosten von Texas. Von ihrem Garten aus kann man das Stahlmonster sehen, das Brownsville von Matamoros in Mexiko trennt. Nachts knattern Hubschrauber über La Posada hinweg, das Viertel, in dem sie mit ihrem zweiten Mann Rolando und zwei Kindern aus erster Ehe wohnt. Bisweilen rasen die weiß-grünen Geländewagen der Border Patrol durch die staubigen Straßen, um Menschen zu verfolgen, die ohne Visum über den Rio Grande gekommen sind.

Das Leben ist unruhig geworden in La Posada, seit die Grenzbefestigungen unter Präsidenten Barack Obama massiv ausgebaut wurden. "Bis vor kurzem hatten wir noch dazu die Minutemen hinterm Haus, die trugen gescheckte Hosen und spielten sich auf wie Soldaten", erzählt Maria Cordero und meint die Bürgermiliz, die sich in Grenznähe postiert, um illegale Einwanderer aufzuspüren.

Von einem der Milizionäre hat sie ein Foto gemacht, er könnte glatt bei Duck Dynasty mitspielen, findet sie. Duck Dynasty ist eine Fernsehserie, die von den Abenteuern verwegener, rauschebärtiger Südstaatler in den Sümpfen Louisianas handelt. Zum Glück, sagt Maria Cordero, sind die Minutemen fürs Erste verschwunden.

Dass eine Mauer das Problem der illegalen Einwanderung aus der Welt schaffen wird, glauben die wenigsten Bewohner von Brownsville. "Wenn du ein 14 Fuß hohes Hindernis baust, werden sich 15-Fuß-Leitern finden, um darüberzuklettern. Ich weiß, das klingt abgedroschen, dennoch stimmt es – ob da nun ein Zaun steht oder eine Mauer", sagt Mark Matthews, der aus dem ländlichen Missouri stammt, früher Pfarrer war und heute auf der mexikanischen Seite eine Sprachschule betreibt. Trump spiele doch nur mit der Angst der Menschen, empört sich der Pädagoge. Auch in den Medien entstehe bisweilen der Eindruck, als habe man es mit einer Invasion von Fremden zu tun. "Ich glaube nicht, dass es der Realität entspricht", sagt er trocken.

Über den Fluss

Matthews unterrichtet in Matamoros Englisch für Firmenvertreter. Jeden Morgen fährt er mit derselben Selbstverständlichkeit über die Grenzbrücke nach Süden, wie die Mütter der mexikanischen Mittelschicht nach Norden fahren, um ihre Kinder in amerikanische Schulen zu bringen. Wie die meisten hier spricht er nur vom Valley, vom Tal, wenn er den Ballungsraum am Unterlauf des Rio Grande meint, eine Region mit starken, historisch gewachsenen, Banden über den Fluss hinweg.

Im texanischen Teil des Valley leben 1,2 Millionen, im mexikanischen knapp vier Millionen Menschen. Die Verkehrssprachen in Brownsville sind Spanisch und Englisch, auch die Werbeplakate sind zweisprachig bedruckt. Weiße US-Amerikaner leben hier, US-Amerikaner mexikanischer Herkunft, Mexikaner mit Aufenthaltsgenehmigung – und viele, die keine US-amerikanischen Papiere haben. Es ist kompliziert. Wenn Maria Cordero ihre Familiengeschichte erzählt, wird schnell klar, wie verwoben das alles im konkreten Fall sein kann.

Ihre Tochter Ceuzette, 25 Jahre alt, hat ein Bleiberecht, steuert die Einbürgerung an und lässt sich zur Krankenschwester ausbilden. Eliud, Marias 28-jähriger Sohn, hat einen Fehler gemacht, für den er teuer bezahlen musste. Er hatte getrunken und sich dennoch ans Lenkrad eines Autos gesetzt. Prompt geriet er in eine Verkehrskontrolle, bei der aufflog, dass er keinen Führerschein besaß, weil Illegale in Texas keinen Führerschein bekommen. Eliud wurde nach Mexiko abgeschoben, während seine Mutter schlaflose Nächte verbrachte beim Gedanken an den Sohn, der seit seinem fünften Lebensjahr in den USA gelebt hatte und sich plötzlich in einer fremden Welt zurechtfinden musste. "28 Jahre. Das ist das Alter, in dem dich die Drogenbanden bedrängen, damit du bei ihnen mitmachst. Ich hatte solche Angst um ihn."

Beim ersten Versuch, über den Rio Grande zurückzukehren, fiel Eliud einem Kartell in die Hände, das sowohl Rauschgift als auch Menschen schmuggelt – und das Leute, die auf eigene Faust über den Fluss wollen, mit brutalen Schlägen bestraft und so lange einsperrt, bis deren Angehörige die Schmugglerprämie zahlen. In Eliuds Fall waren es 1500 Dollar. "Falls jemand eine Mauer hochzieht, werden die Prämien steigen. Das ist alles, das ist der ganze Effekt", orakelt Matthews, der Sprachlehrer.

Maria Cordero sitzt daheim am Esstisch, vor ihr in einem Korb ein üppiges Arrangement aus Kakteen, und erzählt ihre Einwanderergeschichte. Es gab Zeiten, da war der Grenzübertritt ein Kinderspiel. Anfang der 1990er-Jahre, sie hatte sich in Mexiko von einem gewalttätigen Ehemann getrennt und musste ihre Kinder allein durchbringen, schwamm sie am Montagmorgen über den Rio Grande, um als Zimmermädchen, Köchin und Kellnerin in den Hotels der Touristeninsel South Padre Island zu arbeiten. Am Freitagabend schwamm sie zurück nach Mexiko, um am Wochenende bei Sohn und Tochter zu sein. Es war Routine, etwa ein Jahr lang, bis ihr eines Morgens der Schreck in die Glieder fuhr.

Normalerweise durchquerte Maria Cordero den Fluss, indem sie sich an einem Autoschlauch festhielt. Einmal musste mangels verfügbarer Autoschläuche eine aufgeblasene Mülltüte herhalten, bei starker Strömung wurde es zu einer Zitterpartie. "Das macht du nie wieder", schwor sie sich und siedelte sich in Brownsville an. Abschiebungen waren damals nicht zu befürchten.

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat sich das dramatisch geändert. Die USA begannen sich einzuigeln, das Misstrauen gegenüber Fremden nahm zu. Die Schattenmenschen wurden als billige Arbeitskräfte zwar weiter geduldet, aber die Aussicht, eines Tages aus dem Schatten treten zu können, rückte für viele in weite Ferne. 2012 sah es für kurze Zeit nach Tauwetter aus. Als Wähler lateinamerikanischer Abstammung dem Republikaner Mitt Romney wegen barscher Worte an die Adresse der Schattenmenschen ihre Stimme verweigerten und er deshalb das Duell gegen Barack Obama verlor, erwärmten sich selbst konservative Senatoren für eine Einwanderungsreform, um die Illegalen aus der Grauzone zu holen.

Nach verheißungsvollem Start wurde das Projekt im Kongress ausgebremst. Dann betrat Donald Trump die Kandidatenbühne und schürte die Ressentiments. Wenn er erst regiere, kündigte er an, werde er die elf Millionen Schattenmenschen im Schnellverfahren deportieren. Fragt man Maria Cordero nach Trumps Plänen, gerät sie in Rage. "Hat ihm denn keiner erzählt, wer hier in den Hotels die Arbeit macht? Weiß er nicht, dass die Leute nicht nach Amerika kommen, weil sie Mickey Mouse sehen wollen?"

Leben in der Grauzone

Bent Tree, eine halbe Autostunde von Brownsville entfernt, ist eine Siedlung in der Grauzone, jedenfalls juristisch gesehen. 364 Familien, Maschendrahtzäune, Warnungen vor bissigen Hunden. Bäume sind Mangelware, trotz des Ortsnamens. Wollte man alle Illegalen abschieben, schätzt Maria Cordero, würde es drei Viertel der Bewohner von Bent Tree treffen.

Zum Beispiel Josue Martinez, verheiratet mit Jessica Martinez, die eine Aufenthaltsgenehmigung hat. Er ist Vater dreier Kinder, die in den USA geboren wurden und somit amerikanische Staatsbürger sind. 26.000 Dollar hat Josue hingeblättert, um das Grundstück zu kaufen, auf dem er sein Häuschen gezimmert hat. Er ist einer der unzähligen Schattenmenschen, die es gelernt haben, die Lücken der Bürokratie für sich auszunutzen. Denn Illegale können in Texas legal Immobilien kaufen, sofern sie bar bezahlen und keinen Kredit aufnehmen müssen.

Was auffällt in Bent Tree: Es gibt kaum ein Haus, vor dem nicht an einem Gestell ein Basketballkorb hängt. In den grünen Vororten Bostons, Philadelphias oder Chicagos sind Basketballkörbe in den Vorgärten ein Statussymbol der Mittelschicht. (Frank Herrmann, 22.10.2016)