Der Hobby-Schlagzeuger, Deep-Purple-Fan und Liebhaber feiner Sciencefiction-Literatur vermisst Politiker mit Haltung: Je nach Stimmung werde "oft genug das Fähnchen in den Wind gehängt".

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Sind Sie eigentlich froh, dass es in der evangelischen Kirche keine Heiligen gibt? Mit Martin Luther wären Sie sonst anlässlich des bevorstehenden 500-Jahr-Jubiläums der Reformation mitunter im Erklärungsnotstand, oder?

Bünker: Wir feiern ja nicht Luther als Person, sondern die Reformation. Und die Reformation ist viel mehr als Luther. Obwohl sie sich herausragend mit seinem Wirken und Leben verbindet. Ganz klar: Luther ist sicher kein Heiliger. Dazu sind die Schattenseiten viel zu deutlich und sein Lebenslauf zu widersprüchlich.

STANDARD: Vor allem der Antisemitismus in den Spätschriften, wie etwa "Von den Juden und ihren Lügen", ist erschreckend. Thematisiert man diese dunkle Seite Luthers 2017 ausreichend?

Bünker: Ja. Wir verschweigen das nicht. Wir beleuchten die Schattenseiten von Luther schon seit Jahren. Etwa seine Stellung im Bauernkrieg, seine Äußerungen gegenüber dem sogenannten linken Flügel der Reformation und natürlich in erster Linie und am verhängnisvollsten die von Ihnen erwähnten Judenschriften. In der Erklärung "Zeit zur Umkehr", die die Generalsynode in Österreich 1998 beschlossen hat, heißt es nicht nur, dass wir uns von diesen Luther-Schriften distanzieren, wir "verwerfen" sie. Damit sagen wir: Luther war in dieser Frage so etwas wie ein Ketzer.

STANDARD: Der Antijudaismus ist aber nicht nur eine bedenkliche Randerscheinung, sondern zentrales und konsequent durchgezogenes Element seiner Theologie. Macht es das nicht unglaublich schwer, Luther heute zu mögen?

Bünker: Sie haben recht, der Antijudaismus ist ein Kontinuum. Luther war den Juden gegenüber feindselig eingestellt. Ja, es war ein regelrechter Judenhass. Wir sind auch heute nicht mehr der Meinung wie früher, dass der junge Luther hier eine andere Meinung gehabt hätte als der späte Luther. Da war er in einem tiefgreifenden Irrtum verhaftet.

STANDARD: Feiert die katholische Kirche eigentlich im Reformationsjubiläumsjahr 2017 mit?

Bünker: Vor wenigen Jahren war noch klar, dass es für Katholiken kein Reformationsjubiläum gibt. Nach dem Motto: Es gibt keinen Grund zu feiern – sondern bestenfalls ein Reformationsgedenken. Also nur ein Anlass der Buße, der Vergebungsbitten. Aber das ist vorbei, Papst Franziskus sendet da deutlich andere Signale.

STANDARD: 2007 hat ein harsches Dokument der päpstlichen Glaubenskongregation die Ökumene ordentlich ins Wanken gebracht. Den Kirchen der Reformation wurde die Anerkennung als "Kirche im eigentlichen Sinn" verweigert. Sind die Wunden inzwischen geheilt?

Bünker: Persönlich hat mich das Schreiben nicht verletzt. Ich bin wirklich nicht davon abhängig, was Rom von unserer Kirche denkt. Aber natürlich war es für das ökumenische Klima eine Belastung. Heute versucht man, das ein wenig anders zu deuten. Nicht gemeint ist "eigentlich keine Kirche", sondern vielmehr "nicht eine Kirche, wie wir in Rom Kirche verstehen". Die Stimmung hat sich aber ganz generell geändert. Wir sind in der Ökumene jetzt sicher bei den entscheidenden Punkten angelangt, etwa die gemeinsame Eucharistie – speziell für die gemischtkonfessionellen Paare.

STANDARD: Der oberösterreichische Superintendent Gerold Lehner hat bei der Amtseinführungen des Linzer Diözesanbischofs Manfred Scheuer im Jänner des Vorjahres "mutige Schritte beim gemeinsamen Abendmahl" eingemahnt. Sehen Sie das ähnlich?

Bünker: Ich freue mich immer, wenn Evangelische den Papst zitieren. Auch Franziskus wurde von der evangelischen Gemeinde in Rom dazu gefragt, und er hat geantwortet, er sei hier "nicht in der Lage, etwas zu erlauben, aber fragt den Herrn und geht voran".

STANDARD: Sie sind da aber diesbezüglich in der deutlich komfortableren Position, da von evangelischer Seite ja Katholiken durchaus zum gemeinsamen Abendmahl eingeladen werden. Also liegt es wohl alleine an Rom, oder?

Bünker: So kann man es sehen. Da merkt man eben das unterschiedliche Verständnis. Aber es gibt ja durchaus Situationen, wo es gelebte Praxis ist. Man muss das in großer Freiheit nützen. Es hat ja auch keinen Sinn, dass die Evangelischen beleidigt sind und warten, dass die katholische Kirche von ihren Grundprinzipien abrückt. Wir würden das von unseren ja auch nicht tun. Wir versuchen, das Gemeinsame, das möglich ist, entsprechend zu stärken.

STANDARD: Zur Stimmung in Österreich. Von der Willkommenskultur ist heute nur mehr wenig sichtbar. Man hört jetzt vor allem jene, die genau das Gegenteil wollen. Das ist gekippt, oder?

Bünker: Da bin ich anderer Ansicht. Viele evangelische Gemeinden sind in Flüchtlingsprojekten engagiert. Da ist überhaupt nichts gekippt, ganz im Gegenteil. Wir erhöhen die Zahl der Ehrenamtlichen, die sich ausbilden lassen, um in solchen Projekten kompetent tätig zu sein, jedes Jahr deutlich. Gekippt ist hingegen die Politik – und gekippt sind auch die Medien. Die Stimmung der Österreicher, die skeptisch sind, gab es auch vorher. Nur haben diese jetzt alle Sprachrohre der Welt, und die anderen stehen im Regen.

STANDARD: Was werfen Sie diesbezüglich der Politik konkret vor?

Bünker: Die Forderungen an die Politik können eine lange Liste werden. Etwa wenn man sagt, es darf keine illegale Migration nach Europa geben. Dann muss sofort die Gegenfrage lauten: Wie schaut die legale aus? Wie kommt jetzt jemand aus Aleppo legal nach Österreich? Gar nicht! Da ist viel Zynismus und Heuchelei im Spiel.

STANDARD: Laut jüngster OGM-Umfrage haben 89 Prozent kein Vertrauen in Politiker. Ein durchaus alarmierender Befund, oder?

Bünker: Ganz sicher. Eine Ursache ist wohl, dass politisch oft genug, je nachdem, welche Stimmung gerade herrscht, das Fähnchen in den Wind gehängt wird.

STANDARD: Sie vermissen bei Politikern also Haltung?

Bünker: Immer wieder, ja. Man spricht nicht ohne Grund von einer postfaktischen Politik. Ein Mensch wie Donald Trump kann bei einem Fernsehauftritt 30 Mal nachgewiesenermaßen lügen, und es schadet ihm nicht, im Gegenteil, es nützt ihm vielleicht sogar. Welche Lehre sollen da Menschen, die politische Verantwortung tragen, ziehen, was ihre persönliche Haltung, ihre Redlichkeit angeht? Ich habe großen Respekt vor allen, die Politik mit Haltung vertreten.

STANDARD: Ein immer größer werdendes Problem ist der Hass im Netz. Werden auch Pfarrer und Ehrenamtliche beschimpft?

Bünker: Natürlich. Das ist ein massives Thema. Sie brauchen sich nur die Postings unter Artikeln im STANDARD über Flüchtlinge anschauen. Ich werde sicher nach diesem Gespräch auch wieder als Gutmensch, Träumer, Naivling, Willkommensklatscher und so weiter bezeichnet werden – und das ist noch das Harmloseste. Das ist die Realität derzeit, daher ist es wichtig, Initiativen gegen Hate-Speech zu unterstützen.

STANDARD: Die Kürzung der Mindestsicherung ist Dauerthema ...

Bünker: ... und die Bundesländer begeben sich in einen Wettstreit der Grauslichkeiten. Die Kompetenz gehört dem Bund übertragen. Es braucht österreichweite Standards, dann gibt es auch keine Sogwirkungen, dass alle nach Wien gehen wollen. Interessant ist: Für Soziales werden in Österreich mehr als 100 Milliarden Euro ausgegeben. Die Mindestsicherung macht davon weniger als ein Prozent aus. Man fängt an der untersten Stelle an, die soziale Gerechtigkeit zu thematisieren.

STANDARD: Die Regelung in Oberösterreich steht rechtlich auf wackeligen Beinen. Werden Sie klagen?

Bünker: Das haben wir noch nie gemacht. Wir werden übrigens um den Karfreitag kämpfen müssen, um ihn als gesetzlichen Feiertag zu halten. Was sicher ist: Die sogenannte Flüchtlingskrise 2015 war ein Katalysator. Wir hätten die Debatten auch ohne bekommen.

STANDARD: Wissen Sie schon, wen Sie bei der Bundespräsidentenwahl am 4. Dezember wählen werden?

Bünker: Sicher.

STANDARD: Verraten Sie auch, wen?

Bünker: Sicher nicht.

STANDARD: Wohl eher den evangelischen Kandidaten, oder?

Bünker: Was heißt evangelischer Kandidat? Norbert Hofer war katholisch und ist übergetreten. Alexander Van der Bellen war evangelisch. Im Scherz: Er ist Raucher, so wie ich. (Peter Mayr, Markus Rohrhofer, 23.10.2016)