Was haben viele junge Muslime in Wien mit vielen Strache-Followern im Internet gemeinsam? Beide sind antisemitisch, homophob und radikalisierungsgefährdet. Diese werden als Gefahr für die österreichische Gesellschaft betrachtet, jene folgen einer Partei, die sich mit ihren Werten in der österreichischen Gesellschaft als mehrheitsfähig eingenistet hat. Was hat ein um die österreichische Demokratie seriös besorgter Heinrich Neisser mit einem rechtsextremen Brunnenvergifter Strache gemeinsam? Beide attestieren der Regierung eine "katastrophale Performance" und einen Vertrauensverlust, der neun von zehn Landsleuten erfasst habe.
Beide bieten sie Rezepte an, wie dieser Misere beizukommen wäre. Strache, weil seine Partei dem Land ohnehin schon einen Milliardenschaden zugefügt hat, es darauf also auch nicht mehr ankommt – sich selbst. Neisser analysiert die Ursachen gewohnt gründlich und präsentiert Remedien, die gut wirken könnten, würden sie nur endlich einmal angewendet, denn neu sind sie alle nicht. Man kann ihm ja nur begeistert zustimmen, wenn er vom "Jammerbild einer föderalistischen Nation" spricht, aber warum sich an diesem Jammer nichts ändert, wissen wir. Gegen die Front der Landeshauptleute (und ihrer Landesparteien), die den Föderalismus hiesiger Fechsung als ihr Lebenselixier betrachten, wird keine Regierungspartei ankönnen, deren Abgeordnete von den Länderparteien in den Nationalrat entsandt werden – jedenfalls nicht, solange die Einsicht ausbleibt, dass zwischen kleinstaatlicher Verzwergung und rhetorisch zelebrierter Bürgernähe ein Unterschied ist. Personalisiertes Mehrheitswahlrecht mit Einerwahlkreisen, Direktwahl der Landeshauptleute, überhaupt Demokratiereform – wie viele Jahre hören wir das nun schon, und warum sollte all das jetzt eine Koalition durchziehen, deren Parteien schwächeln wie noch nie?
In der Form, in der das Land derzeit regiert wird, gehe es nicht mehr weiter, lautet Neissers Diagnose. Eine ernsthafte Demokratiereform ist aber nur mit einer starken Regierung zu machen, die sich auf eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat stützen kann. Ob die Flucht in vorzeitige Neuwahlen ein solches Wunder hervorbringen kann, ist zu bezweifeln. Ob die noch amtierende Koalition endlich aufhört, in wechselseitiger Blockade und Benörgelung der politischen Taktik höchsten Schluss zu sehen, ebenso, das ist aber immerhin naturgesetzlich nicht ausgeschlossen. Versuche, den Partner populistisch zu überholen, vor allem auf dem Spielfeld der Asylpolitik, nützen nur der FPÖ und erteilt einer Politik der Verhetzung das Siegel der Regierungsamtlichkeit, statt endlich deren politische – und technische – Voraussetzungen zu unterbinden.
Im Übrigen ist die Unzufriedenheit mit den Regierenden nicht nur ein österreichisches Phänomen, sondern zu einem Zustand geworden, der viele Länder Europas in unterschiedlicher Ausprägung, aber mit durchwegs rechtsradikalen Tendenzen erfasst hat. Das ist kein Trost, bedeutet aber, dass manche Übel, die nationalen Regierungen angelastet werden, mit noch so gut gemeinten nationalen Rezepten allein nicht mehr behoben werden können. (Günter Traxler, 21.10.2016)