Der Blick ringt um Orientierung im Durcheinander von Menschen, Taschen, Plastikplanen, Matten und Bambusrohren. Ta'ang beginnt mit tastenden Kamerabewegungen im improvisierten Flüchtlingscamp – mittendrin, nah an den Menschen, ihren Gesichtern und Körpern. Der Blick kommt in einer Position der geduldigen – teilnehmenden – Beobachtung zur Ruhe. Diese gilt den Geflüchteten der Ta'ang (auch als Palaung bekannt), die als ethnische Minderheit in Myanmar leben. Nach dem Aufflammen des Bürgerkriegs in der Kokang-Region Anfang 2015 flohen 100.000 Menschen, vor allem Frauen, Alte und Kinder der Ta'ang, nach China.

Telefonate mit Angehörigen: Flüchtlinge in "Ta'ang".
Foto: Viennale

In der Eröffnungsszene sind die staatlichen Autoritäten noch am Rande präsent. Chinesische Fahnen markieren das Terrain, ein Campwächter in Camouflageuniform tritt eine Frau und fordert sie auf, sich an einen anderen Platz zu begeben. In der Folge konzentriert sich der chinesische Dokumentarfilmer Wang Bing jedoch ganz auf die Geflüchteten: ihren prekären Status zwischen Ausharren und Weitermüssen, ihren Zusammenhalt, ihre bruchstückhaften Fluchtgeschichten, die nie im direkten Interview, sondern stets im Austausch mit anderen erzählt werden. Der informelle Apparat, der in der öffentlichen Wahrnehmung das europäische Flüchtlingsthema bestimmt (Schlepper, Hilfsorganisationen, Medien etc.) ist im Film gänzlich abwesend. Dass die Ta'ang nicht komplett von der Welt vergessen wurden, beweisen allein die Taschenlampen, die zwischen Kinn und Schulter eingeklemmt werden, um die Hände frei zu haben. Ihr Licht ist so etwas wie die visuelle Signatur des Films.

MIFF

Ta'ang folgt einer Struktur von vier Tagen und drei Nächten. Die Beobachtung ist dabei an keine Fragestellung gebunden – und an kein aufklärerisches Projekt. Bing tut etwas, das einfach klingt, aber in den verbreiteten Bildern von Flüchtlingen kaum zu finden ist: schauen und zuhören. Und er nimmt sich Zeit. Eine Nachtszene im Schein eines Lagerfeuers dauert fast eine Stunde. Man hört Geschnarche, Grillengezirpe und das Knistern der Flammen. Jemand telefoniert mit Angehörigen, die zu Hause zurückgelassen wurden, eine Frau versucht auf den Knien einer anderen einzuschlafen, auf dem Feuer kochen Süßkartoffeln.

In der Beobachtung essenzieller Überlebenspraktiken öffnet sich ein überzeitlicher Raum ohne klare Umrisse. Es ist nicht zuletzt dieses Abdriften, das dem Narrativ der Flucht eine andere Erzählung zur Seite stellt. (Esther Buss, 20.10.2016)