Den Autorenfilmer Rudolf Thome, seit vielen Jahren Stammgast der Viennale, und die Schauspielerin Serpil Turhan verbindet nach mehreren gemeinsamen Arbeiten eine enge Freundschaft. Für ihren sehr persönlichen Porträtfilm Rudolf Thome – Überall Blumen hat sich Turhan auf den Weg nach Brandenburg gemacht, wo Thome seit vielen Jahren zurückgezogen am Land lebt.

Die künstlerische Freiheit mit Handschlag besiegelt: Rudolf Thome und Serpil Turhan im grünen Refugium des deutschen Autorenfilmers.
Foto: Karen Grunow

STANDARD: Wann sind Sie Rudolf Thome zum ersten Mal begegnet?

Turhan: Das war auf der Berlinale nach einer Vorführung von Der schöne Tag (2001) von Thomas Arslan, in dem ich mitgespielt habe. Wir wurden total zerrissen, aber Rudolf hat sich aus dem Publikum gemeldet und positiv über den Film gesprochen. Persönlich sind wir uns dann auf einem Festival in Würzburg begegnet, da führten wir zwei, drei Tage gute Gespräche. Danach hat er mich eingeladen, in Rot und Blau (2003) mitzuspielen. Eine Weile kam ich jeden Morgen in sein Büro, um alle seine Filme anzuschauen. Als ich später immer mehr gemerkt habe, dass Spielen nicht so mein Ding ist, hat er mich zu einer Regieassistenz ermutigt. Ich hatte mir das damals noch nicht zugetraut.

STANDARD: War diese lange Vorgeschichte ein Vorteil oder eher ein Hindernis für den Film über ihn?

Turhan: Ich hatte ein wenig Bedenken, er könnte zu sehr eingreifen wollen, aber an meinem Vorhaben, einen Film über ihn zu machen, hat das nichts geändert. Es ging um den Zeitpunkt. Als er sagte, er schreibe jetzt noch einmal ein Drehbuch, war klar, dass ich das jetzt festhalten musste. Wir haben anfangs schon gekämpft.

STANDARD: Wie sind Sie vorgegangen?

Turhan: In erster Linie wollte ich ihn als Menschen zeigen. Ich bin mit einer kleinen Kamera zu ihm auf den Bauernhof nach Niendorf in Südbrandenburg gefahren, und er hat sich darauf eingelassen. Es musste klar sein, dass er mir die absolute Freiheit einräumt. Das hat er wie ein Cowboy mit mir besprochen, und dann wurde das per Handschlag besiegelt.

STANDARD: Gab es da schon eine Finanzierung?

Turhan: Nein, aber rund um die Berlinale 2013 war klar, jetzt müsste es losgehen, und ich habe innerhalb eines Monats alles organisiert. Letztendlich haben wir es ohne Geld durchgezogen, erst danach gab es eine kleine Festivalförderung. Es ist schon niederschmetternd, dass ein Film über Rudolf Thome so wenig Zuspruch bekommt. Es hat ihn auch verletzt. Dass wir es durchgezogen haben, hat ihm aber sehr gefallen, denn er hat in jungen Jahren ja auch manchmal ohne Geld gearbeitet.

STANDARD: Es ist weniger ein Werkporträt geworden als ein persönlicher Film.

Turhan: Wie soll ich 28 Filme repräsentieren? Indem ich Ausschnitte aus Rote Sonne zeige? Ich habe mich auf ihn konzentriert und auf seine Familie, insofern sie eine Rolle gespielt hat. So wie seine Freundin und seine Kinder im Film vorkommen, so kommen sie auch im Leben vor. Niendorf ist sein Paradies, in das er sich zurückgezogen hat. Er hat vorgeschlagen, einmal in Berlin zu drehen, auf dem Chamissoplatz abzuhängen. Aber ich hab dann gesagt: "Nee, Rudolf, das lassen wir. Du läufst dort ja mittlerweile selbst wie ein Tourist rum."

kinofilme

STANDARD: Auf seinem Bauernhof ist er oft allein.

Turhan: Das ist seine Welt, und auch ich habe bei den Dreharbeiten alles allein gemacht, Kamera und Ton. Nach meinem letzten Film Dilim dönmüyör – Meine Zunge dreht sich nicht (2013) erschien mir das zu anstrengend, aber es lohnt sich, um eine bestimmte Intimität zu schaffen. Diese Art des Arbeitens gefällt mir immer besser. Ich werde auch allmählich strukturierter, man dreht dann bedachter, ich muss nicht mehr immer sofort die Kamera anstellen. Ich drehe nicht sechs Stunden am Tag.

STANDARD: Rudolf Thomes Filmkarriere scheint zu Ende zu sein, und "Überall Blumen" ist, wie vieles, was er selbst gemacht hat, ein fragiles Projekt weit weg von den großen Kinostrukturen.

Turhan: Rudolf hat keine existenziellen Ängste. Er hat sein Ding durchgezogen, manchmal sogar mit Bauarbeiterjobs, aber immer mit dem absoluten Gefühl: Ich will Filme machen. Ich wiederum frage mich oft: Wie kann ich leben? Und zwar nicht mehr auf Studentenart, und ewig kellnern will man auch nicht. Inzwischen versuche ich, Wege zu finden, um trotzdem Filme zu machen. Das Größte, was ich von Rudolf gelernt habe, ist, dass man echt kämpfen muss.

STANDARD: Schreibt er jetzt tatsächlich seine Autobiografie?

Turhan: Ja, aber ich habe keinen Zugang dazu. Das ist ein geschlossenes Projekt.

STANDARD: Sie sind als Tochter türkischer Eltern in Deutschland geboren und aufgewachsen. Zuletzt wurde dieses Verhältnis wieder von verschiedenen Seiten problematisiert. Wie geht es Ihnen derzeit mit diesen Fragen?

Turhan: Ich habe ein ganz zwiespältiges Gefühl. Es schockiert mich, was in der Türkei passiert. Diesen Sommer bin ich auch mit meiner Tochter bewusst nicht hingeflogen, mich stößt das ab. Wir sind kurdischer Herkunft, gehören also zu der Gruppe, die unterdrückt wird. Meine Eltern haben nun Ängste, die sie schon einmal hatten, als sie emigriert sind. Die Armenien-Resolution hat mich stolz gemacht, mit dieser Haltung Deutschlands kann ich mich identifizieren. Mich kotzt aber an, wie wir hier in Deutschland jetzt wieder infrage gestellt werden. Die Identitätsprobleme haben nichts mit Erdogan zu tun. Das ist eine Tragödie, das ist ein Faschismus, was da in der Türkei abläuft. Aber meine Grundlage hier sollte nicht infrage gestellt werden. In meinem nächsten Film setze ich mich damit näher auseinander. (Bert Rebhandl, 20.10.2016)