STANDARD: Hat man in Ihrer Position eigentlich mehr oder weniger Angst vor Terror?
Laborde: Es geht weniger um die Frage der Angst als darum, wie man mit der Realität umgeht. Wir leben in einer Zeit, in der die Gefahr durch Terrorismus zuletzt zugenommen hat. Mit dieser müssen wir lernen umzugehen.
STANDARD: Wie denn konkret?
Laborde: Wir brauchen nicht nur Maßnahmen durch Einzelstaaten und internationale Organisationen, sondern weiter gefasste internationale Zusammenarbeit. Unsere Kooperation mit dem Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung etwa ist beispielhaft: Wir haben zahlreiche Projekte am Laufen, da die Verbindung zwischen Terrorismus und organisierter Kriminalität immer enger wird. Das ist ein neues Phänomen.
STANDARD: Woran machen Sie das genau fest?
Laborde: Migranten werden von organisierten Banden nach Europa geschmuggelt, darunter befinden sich auch Mitglieder von Terrorgruppen. Oder: Verliert ISIS ("Islamischer Staat"/IS, Anm.) oder Boko Haram an Territorium, wenden sie sich neuen Ressourcen zu: Laut Angaben der italienischen Anti-Mafia-Direktion stammen heute sieben Prozent der ISIS-Ressourcen aus dem Drogengeschäft. Bei den Taliban in Afghanistan ist der Anteil noch viel höher. Wenn ISIS Städte verliert, verliert er Ölressourcen und Steuereinnahmen. Als Reaktion verstärken sie dann den Handel mit Menschen, Kunstgütern, Waffen und Drogen.
STANDARD: Was bereitet Ihnen in Ihrem Job am meisten Sorgen?
Laborde: Die größte Bedrohung sehe ich in der Radikalisierung und Indoktrinierung von jungen Menschen außerhalb der Kriegsgebiete. Menschen in Europa oder im Maghreb haben keine Hoffnung, sehen keine Zukunft und werden so von einem Tag auf den nächsten Terroristen.
STANDARD:Ihr Heimatland Frankreich, zuletzt verstärkt Ziel von Anschlägen, war bereits in der Vergangenheit oft Opfer von Terror. Was ist der Unterschied zu früher?
Laborde: Dass es mit ISIS erstmals ein Territorium gibt, in dem der Traum einer anderen Gesellschaft tatsächlich umgesetzt wird und der deshalb für Menschen rund um den Globus attraktiv wird. Diese Idee muss wieder weniger attraktiv werden. Wir müssen also die Terroristen selbst auf mehreren Ebenen bekämpfen, aber auch im Westen, in den Maghreb-Staaten mit allen Teilen der Gesellschaft arbeiten, um ihren derzeitigen Sympathisanten wieder Perspektiven und Hoffnung zu geben.
STANDARD: Die Welt werde auch in nächster Zeit kein sicherer Ort werden, haben Sie kürzlich gesagt.
Laborde: Es wird mit Sicherheit vier, fünf Jahre dauern, bis sich die Situation ändert. Die Menschen sind zwar besessen vom Thema Terrorismus, übersehen aber den Link zur organisierten Kriminalität: den Handel mit Frauen und mit Migranten, Geldwäsche – die organisierte Kriminalität finanziert Terrorismus. Bekämpfen wir diese Verbindung, überleben diese Gruppen nicht. (Anna Giulia Fink, 18.10.2016)