Ulrike Nachbargauer verwendet neben dem Boden auch Teile ausrangierter Bühnenbilder für ihre Interieurs.

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An einem Tisch mit Gert Voss, Paula Wessely, Klaus Maria Brandauer und Curd Jürgens? Vielleicht eine gute Flasche Bordeaux entkorken? Oder doch lieber zwei? Schließlich wollte Oskar Werner noch vorbeischauen.

Auch wenn ein Großteil dieser Bühnenstars bereits in den ewigen Theatergründen auftritt, ist diese Gästerunde nun in gewisser Weise möglich. Vorausgesetzt, man verfügt über die nötige Liebe zum Theater sowie einen ordentlichen Schuss Romantik. Und einen Tisch der Wiener Architektin Ulrike Nachbargauer. Sie schuf mit ihrer Serie "Protagonisten" eine Möbeledition, die aus den Brettern des Bühnenbodens des Wiener Burgtheaters gebaut wurde, die nach 56 Jahren im Jahre 2011 ausgetauscht wurden.

Von wegen letzter Auftritt: Sitzt man mit Ulrike Nachbargauer an einem ihrer schwergewichtigen Protagonisten in ihrem Büro für Innenarchitektur im Wiener 18. Bezirk, wird schnell klar, wohin die Entwurfsreise ging. "Vier ausgewachsene Kerle benötigt es, den Tisch zu transportieren", erzählt die Gestalterin, die an der TU studierte und auch vier Jahre als Bühnenbildnerin am Wiener Burgtheater tätig war. Da weht also der Wind her.

Schwergewichtig: Tisch No. 1 "Don Carlos", der Oskar Werner gewidmet ist.
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Teures Holz

Der 2,2 Meter lange Tisch besteht aus tropischer Schwarzkiefer. "Ein sehr teures Holz, das bereits 1950 vom Burgtheater eingekauft wurde, ehe es noch fünf Jahre trocknen und bis zu seinem Einsatz im Haus am Ring im Jahre 1955 warten musste." Es war die erste Aufführung, nachdem das Haus aufgrund eines Bombenangriffs am 12. April 1945 völlig ausgebrannt war. "Das Holz ist ganz wunderbar, es ist so harzig, dass die Löcher und Matzen, die mit der Zeit in den Boden kommen, wie kleine Wunden von selbst wieder zuheilen", schwärmt die Architektin vom Material. Ehrfurchtsvoll fährt man über die schwarzen, einzelnen Holzstaffeln, die nach dem Nut-und-Feder-Prinzip verbunden wurden und wie ein fetter Schiffsboden wirken. Charmante Details sind auch die da und dort noch sichtbaren blauen und grünen Auftrittsmarkierungen von irgendwelchen Aufführungen. Eine Tischdecke lasse man also aus Pietätsgründen besser weg.

Spucken und Schmusen

Das Möbel wirkt in seiner Schwere souverän, gelassen und in sich ruhend. Das Design, das die Entwerferin dem Objekt verlieh, hält sich dezent wie eine Souffleuse zurück, lässt dem Holz seinen Auftritt. Und doch ist da eine faszinierende Aura spürbar, mit der dieses Objekt aufgeladen ist. Schließlich standen – man verzeihe den pathetischen Anflug – so gut wie alle Götter des deutschsprachigen Theaters auf diesen Brettern.

Nachbargauer spricht von greifbarer Kulturgeschichte, von einem Inspirationsobjekt und Sehnsuchtsmöbel, auch von manifestierter Kulturgeschichte. Man kann es auch anders formulieren: Auf diesem Holz wurde geschrien, gespuckt, gekuschelt, gestottert, geschmust und geflüstert. Attila Hörbiger, Ulrich Mühe, Annemarie Düringer, Tobias Moretti (allen ist ein Tisch gewidmet) machten diesen Boden zu einem Fundament der Schauspielkunst.

Angeblich küsst der Burgschauspieler Cornelius Obonya "die Bretter, die die Welt bedeuten" vor jeder Aufführung. Über den Boden des Theaters sagte der Mime: "Er ist wie eine Festplatte der Theatergeschichte, einiges davon gehört gelöscht, andererseits ist es auch wieder gut, dass man es nicht löschen kann."

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Jeweils ein Zitat der Hauptfigur aus ausgewählten zehn Stücken wurde in eine Messingplatte, die wie ein Band durch den Tisch läuft, graviert. Es erinnert an den Protagonisten der Inszenierung. Tisch Nummer 1 zum Beispiel ehrt Oskar Werner in "Don Carlos" aus dem Jahre 1955. Das auserwählte Zitat? " O, der Einfall war kindisch, aber göttlich schön." Tisch Nummer 9 (er ist noch nicht gebaut) würdigt Birgit Minichmayr in ihrer Rolle als Medea.

Zitat aus "Heldenplatz" von Thomas Bernhard.
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Insgesamt 80 Quadratmeter Boden konnte Nachbargauer dem Burgtheater abkaufen. "Es gab allerdings einiges an Ausschuss, ferner musste das Holz von einer Restauratorin bearbeitet werden, ehe es mithilfe von guten Handwerkern gelungen ist, die Tische in diese Form zu bringen." Die Patina wurde dabei nicht verspielt. Wäre auch mehr als schade. Apropos Form: Zu der Serie "Protagonisten" gibt es auch eine Edition von "Antagonisten" – zwei kleinere Möbel, die sich als Gefährten in Form von Couchtischen zum Protagonisten gesellen können.

Theateraffinität

Zum Burgtheater hat Nachbargauer gute Beziehungen. Es ist nicht zum ersten Mal, dass sie mit ausrangierten Materialien aus dem Haus am Ring arbeitet. Diese Beziehungen beruhen auf ihrer Zeit, als sie hier selbst noch arbeitete und ihrer großen Liebe zum Theater fand. Ihr Lieblingsstück ist übrigens "Das goldene Vlies" von Franz Grillparzer. Gut 30-mal hat sie es gesehen. Irgendwann entschied sie sich aber doch für die Architektur und entwirft heute mit drei Angestellten Interieurs für Wohnungen, Gastronomie und Geschäfte.

Allerdings ohne dabei der Theaterwelt den Rücken zu kehren. Eine Metallplatte aus dem Bühnenbild von Olaf Altmann, das dieser für das Stück "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" von Bertolt Brecht entwarf, schaffte es zum Beispiel zu einer Oberfläche in einer Küche, die Nachbargauer designte. Ein Spielvorhang aus dem Bühnenbild des Thomas-Bernhard-Stücks "Vor dem Ruhestand" wurde in ein Möbel eingearbeitet.

Die Tische aus der Serie Antagonisten.
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Unterm Strich bleibt das Stück ein Objekt für Liebhaber. Die Liebe sollte eine recht große sein, immerhin verrechnet Ulrike Nachbargauer 19.800 Euro für einen ihrer Protagonisten. Dafür hält die Liebe dann bestimmt noch einmal 56 Jahre lang, denn dieser Möbelpracker hält so manches Drama aus. (Michael Hausenblas, RONDO, 25.10.2016)

Sämtliche Stars des deutschsprachigen Theaters standen auf den Brettern, die die Welt bedeuten und nun in Tischform zu haben sind.
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