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Diese Aufnahme zeigt den 1894 in Tokio geborenen Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi im Jahr 1949. Seine Idee, ein Paneuropa zu schaffen, sorgte 1922, als Coudenhove-Kalergi 28 Jahre war, für Aufsehen.

Foto: Picturedesk / akg-images / Paul Almásy

Wien – Wer den Karlspreis erhält, hat sich gemeinhin um die europäische Einigung verdient gemacht. Die allererste Auszeichnung bekam 1955 ein Österreicher verliehen: Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi. Der 1894 geborene Sohn einer Japanerin und eines k. u. k. Diplomaten und Onkel der STANDARD-Kolumnistin Barbara Coudenhove-Kalergi gilt als einer der ideellen Gründerväter der Europäischen Union. Sein 1923 erschienenes Buch Pan-Europa und die von ihm 1922 gegründete Paneuropa-Union, die erste europäische Einheitsbewegung, befeuerten in den 1920er- und 1930er-Jahren den Gedanken eines Europas als Staatenbund.

Vordergründig könnte man zu dem Schluss kommen, es bei einem solchen Vordenker der EU mit einem eisernen Verfechter der Demokratie zu tun zu haben. Bei Coudenhove-Kalergi wird aber eine mitunter recht ambivalente Haltung gegenüber den Diktaturen dieser Zeit sichtbar, wenn man sich genauer mit seinen Argumentationen beschäftigt.

Das macht derzeit Michael Thöndl von der Fachhochschule des BFI Wien. Der Politikwissenschafter untersucht die Position des Vorzeigeeuropäers zu damaligen autoritär geführten Staaten und kann anhand neuer Quellen bereits Bekanntes produktiv vertiefen: "Coudenhove-Kalergis Ruf vom lupenreinen Demokraten steht im Widerspruch zu der neuen zeitgeschichtlichen Forschung, die zeigt, dass er dem italienischen Faschismus eine Weile lang nahe gestanden hat."

Sinneswandel um 1933

Ursprünglich war "Paneuropa" als ein rein demokratischer Staatenbund gedacht: Mit Großbritannien und Russland als eigenständigen Weltmächten wollte Coudenhove-Kalergi kein Bündnis eingehen, aber freundschaftliche Beziehungen unterhalten. Einen "Brexit" hätte er vielleicht begrüßt. Spätestens nach der Machtübernahme Hitlers 1933 findet bei dem vorher noch überzeugten Demokraten wohl ein Sinneswandel statt, da er nun für den italienischen Faschismus zu trommeln beginnt.

Coudenhove-Kalergi hält das seit 1925 von Mussolini geführte Italien für eine schlagkräftige Schutzmacht, die allein die Unabhängigkeit Österreichs vor deutschen Aggressionen bewahren könnte. Bei dieser Einschätzung steht der EU-Vordenker auf einer Linie mit Dollfuß und Schuschnigg – beide einstige Ehrenpräsidenten der Paneuropa-Union.

Keine reine Anbiederung

Jedoch heiligt hier nicht bloß der Zweck die Mittel, berichtet Thöndl: "Das ist großteils ein pragmatischer Zugang, aber manchmal geht es über reine Anbiederung hinaus." So verkündete der Bewunderer laut einem Vermerk des italienischen Konsulats 1936 bei einer Rede im Konzerthaus, Mussolini werde Europa im 20. Jahrhundert stabilisieren, wie es im späten 19. Jahrhundert Bismarck getan habe.

Coudenhove-Kalergis Zuneigung zum italienischen Faschismus habe laut Thöndl ihre Ursache vor allem darin, dass er den Antisemitismus und die Rassenpolitik der deutschen Nationalsozialisten verabscheute. In Italien dagegen waren solche Ressentiments zwar auch verbreitet, aber bis in die 1930er-Jahre bei den Faschisten noch kein offizielles Programm. Gerade in der frühen Kampfphase der "Schwarzhemden" waren Juden selbst in Führungspositionen beteiligt.

Das änderte sich jedoch spätestens, nachdem die "Achse Berlin-Rom" ausgerufen wurde: 1938 galten auch in Italien der Verfolgung von Juden dienende Rassengesetze. Spätestens jetzt musste Coudenhove-Kalergi eingesehen haben, dass er im Sinne seiner Vision auf das falsche Pferd gesetzt hatte. Zu dem Zeitpunkt war er jedoch mit ganz anderen Dingen beschäftigt: Seine Flucht endete weit entfernt von einem alles andere als geeinten Europa 1942 in den USA. Michael Thöndl will einen besseren Eindruck gewinnen, inwieweit Coudenhove-Kalergi dem Faschismus nahestand, aber auch, wie man wiederum in Italien auf das Lob des Österreichers reagierte. Dazu analysiert er Akten aus dem italienischen Staatsarchiv und Außenministerium – in erster Linie Schriftsätze der Botschaft in Wien, der faschistischen Geheimpolizei und des Presse- und Propagandaministeriums.

Diese Akten zu sammeln ist nicht ganz einfach, da die Einträge sehr verstreut sind. Ohnehin ist bei dieser Thematik die Quellenlage schwierig: Das gesamte Paneuropa-Archiv wurde nach dem "Anschluss" nach Berlin und von dort später durch die Sowjets nach Moskau verschleppt, wo es sich bis heute befindet.

"Coudenhove-Kalergi positive Einstellung zu Mussolini ist in der Öffentlichkeit weniger bekannt, in der neueren Forschung aber durchaus", rekapituliert Thöndl und verweist dabei auf die Habilitation der Grazer Historikerin Anita Ziegerhofer-Prettenthaler aus dem Jahr 2004. "Allerdings wurde dazu bisher noch kein italienisches Archivmaterial konsultiert."

Die heuer von Walter Göhring vorgelegte Monografie dagegen behandle das Thema nicht einmal adäquat. Der Wissenschafter stellt ernüchtert fest: "Das ist im Vergleich zu Ziegerhofer-Prettenthaler sogar ein Rückschritt in der kritischen Auseinandersetzung."

Demokratien und Diktaturen

Wenn diese Forschung abgeschlossen ist, will sich Thöndl in einem nächsten Schritt mit einer Konzeption Coudenhove-Kalergis beschäftigen, die dieser in jener Zeit auch im Zusammenhang mit dem italienischen Faschismus entwickelte: das Konzept eines geeinten Europas koexistierender Demokratien und Diktaturen. Angesichts zahlreicher autoritärer Tendenzen auf dem Kontinent derzeit bleibt zu hoffen, dass er in diesem Fall kein Vordenker wird. (Johannes Lau, 24.10.2016)