Als ich die letzten Seiten der ergreifenden und erstaunlich offenen Memoiren des großen israelischen Historikers Saul Friedländer gelesen habe, meldeten die Agenturen, dass Israel seine Zusammenarbeit mit der UN-Kulturorganisation Unesco "bis auf weiteres" ausgesetzt hat. Damit protestiert die Regierung dagegen, dass in der Resolution einer Unesco-Kommission der historische Bezug des Jerusalemer Tempelbergs als heiliger Ort der Juden, die Verbindung zur Klagemauer unterschlagen und nur der arabische Name für das wichtige Heiligtum verwendet wird. Der Publizist Rudolf Herzinger kritisiert in der Welt, dass sich die Programmkommission der Unesco für die antijüdische Propaganda arabischer und anderer muslimischer Staaten einspannen ließ. Nur sechs Staaten – die USA, Großbritannien, Deutschland, Estland, Litauen und die Niederlande – stimmten gegen die Resolution, 26 Staaten enthielten sich der Stimme, und 24 Staaten, darunter Brasilien, China und Russland, stimmten für die Resolution, über die heute im Exekutivrat endgültig abgestimmt werden soll. Die Welt warnte, dass mit dieser perfiden Geschichtsfälschung dem Existenzrecht Israels die Grundlage entzogen werden könnte.

Der israelisch-palästinensische Konflikt und die zunehmende Hoffnungslosigkeit hinsichtlich einer Wiederbelebung des Friedensprozesses überschatten immer wieder auch die Reflexionen Friedländers, der selbst ein Überlebender ist. Der 1932 in Prag geborene Friedländer flüchtete als Kind mit seinen deutsch-jüdischen Eltern nach dem deutschen Einmarsch 1938 nach Frankreich und wurde 1942 in einem katholischen Internat bis zur Befreiung versteckt.

Nach Studien in Paris und Genf wird er zum weltweit angesehenen Chronisten jenes Ereignisses, dem sechs Millionen Juden, darunter auch seine Eltern, zum Opfer gefallen sind. Obwohl ihm der Israelpreis für Geschichte, die höchste Auszeichnung in Israel, zuerkannt wurde, ist Friedländer, wie so viele prominente jüdische Intellektuelle und Künstler, zum überzeugten Kämpfer gegen den Siedlungsbau und den Libanonkrieg, und dann gegen die ganze zunehmend nationalistisch-religiös geprägte Regierungspolitik geworden. Er ist entschieden für die unverzügliche Beendigung des Siedlungsbaus, für die Aufgabe einiger Siedlungen, für einen Austausch von Gebieten und sogar für eine politisch-administrative Teilung Jerusalems, ohne Trennung der Bevölkerungen. Er spricht offen aus, dass Israel teilweise selbst für die Radikalisierung der Palästinenser verantwortlich sei.

Er plädiert aber auch für extreme Vorsicht. Infolge des blutigen Konflikts zwischen Schiiten und Sunniten, der Verstrickung von Hamas in Gaza und der Hisbollah im Libanon und der Aktivität des terroristischen IS könnte ein Palästinenserstaat in die Hände der Extremisten fallen. Israel wäre dann auf allen Seiten von Feinden umgeben, die entschlossen seien, es zu vernichten.

Solch heuchlerische Resolutionen der Unesco wie die über den Tempelberg sind geeignet, dem antiisraelischen Aktivismus weiteren Auftrieb zu verleihen und dadurch den jüdischen Fundamentalisten auf einem silbernen Tablett Argumente zu liefern. (Paul Lendvai, 17.10.2016)