Martin Fritz verlegt sein Büro vom Museumsquartier nach Stuttgart. An der Kunsthochschule Merz Akademie trat er nun die Stelle des Rektors an.

Foto: Robert Newald

Wien – Seit 20 Jahren beschäftigt sich Martin Fritz in Wien publizistisch und beratend mit Fragen des Kulturbetriebs. 2011 wäre er beinahe Rektor der Akademie der bildenden Künste geworden. Nun geht er nach Stuttgart, tritt als Rektor der Merz Akademie – Hochschule für Gestaltung, Kunst und Medien – in die Fußstapfen von Markus Merz. Der hatte die Akademie 35 Jahre lang geleitet. Fritz will sie als "sehr kritischen Ort erhalten. Traditionell wurde hier kritisches Bewusstsein und starke Theorieorientierung gut mit der Praxis verknüpft. Bildung und Ausbildung in einem Boot." So wünsche er sich das.

STANDARD: Wenn Sie Wien und Stuttgart vergleichen: Wo sehen Sie die größten Unterschiede im kulturellen Bereich?

Fritz: Fast überall in Deutschland gibt es eine stärkere zivilgesellschaftliche Verankerung von Kultur. Wien ist sehr imperial und etatistisch, hat immer noch höfische Züge. Auch Stuttgart hat Repräsentativkultur, aber man hat sich in Deutschland insgesamt viel stärker auch alternativ und bürgerschaftlich positioniert.

STANDARD: Hat sich nicht auch in Wien einiges getan?

Fritz: Die stärksten Veränderungen waren sicherlich die Gründungen der 80er-, 90er-Jahre mit dem Museumsquartier als deutlichstem Zeichen. Parallel ist Wien durch die verschiedenen Öffnungen eine wachsende und interkulturelle Stadt geworden.

STANDARD: 2009 hat die damalige Kulturministerin Claudia Schmied eine Museumsreform angekündigt, die Sie moderierend begleitet haben. Was wurde umgesetzt, was ist im Sand verlaufen?

Fritz: Der deutlichste Schritt war sicherlich der freie Eintritt für unter 19-Jährige. Es wurde die Kooperation zwischen Bildungseinrichtungen und Museen gefördert. Man hat auch erstmals versucht, zu einer einheitlicheren Governance zu kommen. Die Beobachter haben sich wohl einen großen Knall, eine Aufräumaktion erwartet. Das war eine falsche Erwartungshaltung. Aber folgenlos ist die Reform nicht geblieben.

STANDARD: Im Anschluss an die Querelen im Belvedere wurde jetzt wieder eine Reform angekündigt. In ihrer kulturpolitischen Kolumne für artmagazine.cc schrieben Sie dazu: "Wir drehen uns im Kreis."

Fritz: Das wäre noch kein Problem, wenn sich die Kreise dabei erweitern würden. Man dreht sich dann im Kreis, wenn man immer nur glaubt, man müsse Aufgaben von einem Haus zum anderen transferieren. Man bewegt sich weiter, wenn man darüber spricht, welche inhaltliche Vision man für die Bundeskultur insgesamt hat. Wir haben einerseits ambitionierte Direktoren, die natürlich vor allem auf ihr eigenes Haus schauen. Und dann haben wir eine Kulturpolitik, die sich aus falsch verstandenem Respekt vor der Kunstfreiheit darauf zurückzieht, Zahlen zu kontrollieren.

STANDARD: Sie fordern inhaltliche Vorgaben von der Kulturpolitik?

Fritz: Es soll kein Politiker zum Telefon greifen und sich Programme wünschen. Aber in jedem Politikfeld muss man Vorstellungen für die Zukunft entwickeln. Welche Formen der Inklusion wollen wir? Welche Gesellschaftsgruppen will man ansprechen? Warum gibt es im Burgtheater nicht auch Stücke auf Türkisch?

STANDARD: Es gibt die Idee einer Generaldirektion, die über den einzelnen Bundesmuseen steht und Leitlinien vorgeben könnte.

Fritz: Die Idee war ein Dauerbrenner im 20. Jahrhundert. Zum letzten Mal wurde sie in den 70er-Jahren von den einzelnen Direktoren beerdigt. Auch ich halte im Grunde nichts davon. Stattdessen sollten sich die Instanzen im Bundeskanzleramt fachlich verstärken – auch mit externen Experten – und die Eigentümerrolle deutlicher akzentuieren.

STANDARD: Oft wird gefordert, die Sammlungen der Häuser neu aufzuteilen und strikt nach Epochen zu sortieren. Davon halten Sie nichts?

Fritz: Für mich ist das nicht die prioritäre Frage. Zu Beginn steht die Frage nach den Inhalten. Wenn es fachlich gut begründet ist, habe ich kein Problem damit, wenn ich eine Hollein-Zeichnung in verschiedenen Museen sehe, wenn sie zum Beispiel einmal im Architekturkontext und einmal im Kunstkontext auftaucht. Programmatisch gibt es in Wien eher das Problem, dass man bestimmte Sachen gar nicht sieht, im Bereich Alltagskultur, Zeitgeschichte, technische Dinge wie Bitcoins, Gaming, populäre Medien. Die Schallaburg widmet sich demnächst dem Thema Islam. Das Volkskundemuseum macht ein tolles Programm, hat aber Probleme mit der finanziellen Ausstattung. Auch über das altehrwürdige Gesellschafts- und Wirtschafts-Museum könnte man einmal nachdenken.

STANDARD: Das Wien Museum wird demnächst ausgebaut. Es will vermehrt auf genau solche Themen setzen.

Fritz: Klar. Die erkennen ja auch, dass da die Lücken sind.

STANDARD: Kritisiert wird oft der Überbietungswettbewerb mit Blockbusterausstellungen, etwa zur klassischen Moderne.

Fritz: Zum Teil ist dieser Wettkampf wirtschaftliche Notwendigkeit. Mutige Kulturpolitik müsste aber bereit sein, auch sinkende Besucherzahlen in Kauf zu nehmen, wenn dafür andere, kritische Themen möglich sind oder bisher ausgeschlossene Gruppen erreicht werden können

STANDARD: Eine Folge der Ausgliederung waren explodierende Eintrittspreise. In Großbritannien sind Eintritte frei, dafür breiten sich Shops teilweise bereits in die Ausstellungsräume aus. Wie also vorgehen?

Fritz: Ideal wäre natürlich freier Eintritt für alle. Das Tolle daran ist weniger, dass man sich Geld spart, sondern dass sich das Nutzungsverhalten ändert, man geht punktueller, spontaner und häufiger in Ausstellungen und es steigt die Identifizierung mit den Häusern. In Wien wird für öffentliche Parks etwa genauso viel ausgegeben wie für die Bundesmuseen. Der Park ist selbstverständlich frei nutzbar. Ich würde über Museen gerne so sprechen können wie über Parks. Das Mindeste wäre jetzt aber einmal eine gemeinsame Jahreskarte für alle Bundesmuseen.

STANDARD: Der KHM-Verband hat eine günstige Jahreskarte. 50 Prozent der Besitzer nutzen sie aber nur ein einziges Mal.

Fritz: Dann wird sich das KHM überlegen müssen, warum das so ist.

STANDARD: Direktoren bezeichneten Sie einmal als "Egomaschinen" und die Kuratorien seien als Kontrollorgane ineffektiv. Wo müsste die Reform also ansetzen?

Fritz: Ganz klar bei der Stärkung der strategischen Ebene in Kulturpolitik und -verwaltung und bei den Kuratorien. Sie müssten nach dem Muster von Aufsichtsräten zu vollständigen Kontroll- und Steuerungsorganen werden. Die Kuratorien sollen in allen Belangen, programmatisch wie finanziell, mit Experten besetzt werden, dann könnte man sie auch verkleinern. Starke Direktoren können damit gut umgehen, das ist internationaler Standard.

STANDARD: Kuratorien werden nach wie vor auch politisch besetzt. Muss das nicht aufhören?

Fritz: Natürlich, aber der viel entscheidendere Punkt sind Kompetenz und Entsendekriterien. Und das wurde in der Vergangenheit nicht angetastet. Man sollte alle Posten ausschreiben. Auch Diversität muss man hinbekommen.

STANDARD: Was ist auf Direktorenebene zu ändern?

Fritz: Wahrscheinlich gar nicht so viel. Da sind natürlich die Themen Compliance und Vieraugenprinzip. Aber im Grunde ist man damit ja schon durch.

STANDARD: Sie meinen mit reformiertem Kuratorium wäre im Belvedere nichts passiert?

Fritz: Das kann ich nicht beurteilen, auch bei professionellen Aufsichtsorganen kann immer etwas passieren. Wichtig ist, dass man jetzt aus fast zwanzig Jahren Auslagerung die Lehren zieht und das konzeptionelle Vakuum über den Häusern füllt. Man darf bei dieser Reform den Nachdenkprozess nicht zu früh beenden. Man muss grundlegend und offen diskutieren. Ich hoffe, es wird ein ambitionierter Prozess und keine Vorwahlepisode.

STANDARD: Sie haben sich intensiv am Nachdenkprozess über die Projekte am Heldenplatz beteiligt. Wie stehen Sie zu Haus der Geschichte (HGÖ) und Weltmuseum Neu?

Fritz: Im Unterschied zu manchen Kollegen habe ich mich dazu positiv verhalten. Ein Problem wäre nur gewesen, das HGÖ zulasten des Weltmuseums zu machen, da dieses ja selbst Stärkung braucht. Ansonsten war der museale Zustand der Neuen Burg immer ein großes Provisorium. Das HGÖ ist dort als Basis gut aufgehoben, sofern es seine Vernetzung auch auf viele andere Institutionen und Kooperationspartner außerhalb ausbreitet. Das muss bis zur Gedenkstätte Mauthausen und dem Archiv der Migration reichen.

STANDARD: Soll rund um den Heldenplatz eine Art zweites Museumsquartier entstehen?

Fritz: Es sollte jedenfalls zu keinem Edelvorplatz für edle Museen werden. Vielmehr müsste es ein zivilgesellschaftlicher Platz der Republik sein.

STANDARD: Das klingt nach Umbenennung.

Fritz: Ja, wieso nicht? Hundert Jahre nach Gründung der Ersten Republik wäre ein guter Zeitpunkt dafür.

(INTERVIEW: Stefan Weiss, 17.10.2016)