Starke Sprüche für die Medien, Seitenhiebe auf die Politikerkollegen: Finanzminister Hans Jörg Schelling predigt lauthals den großen Wurf – und rennt in manche absehbare Niederlage.

Foto: Matthias Cremer

Der Rammbock der Reformen: Hans Jörg Schelling ist diese Rolle, nicht nur sprichwörtlich, auf den Leib geschneidert. Mit seinen von einem graumelierten Bürstenschnitt verlängerten 1,91 Metern überragt der Finanzminister die Regierungskollegen, und dominant legt er auch die Auftritte an. Ob vor, bei oder nach Schellings Budgetrede diese Woche: Ausgiebig durfte sich die Politikerkaste anhören, dass ihr Courage, Weitblick und Konsequenz fehle.

Schelling spricht listigerweise gerne in der ersten Person Plural ("wir sind nicht sehr mutig unterwegs"), meint natürlich aber die anderen. Seit seinem Amtsantritt vor gut zwei Jahren zehrt er von dem Image, irgendwie nicht dazuzugehören.

Als in der Privatwirtschaft gestählter Managertyp, der das rot-schwarze Phlegma austreiben könnte, ging der frühere Geschäftsführer der Möbelriesen Leiner/Kika und Lutz in die Typologie der Medien ein, selbst Oppositionelle verteilten Vorschusslorbeeren. Doch ist Schelling den Erwartungen gerecht geworden?

Nicht dass die Fans alle verstummt wären. "Chapeau für Hans Jörg Schelling", sagt etwa ein Verhandlungspartner, der mit ihm bei Steuer- und Pensionsreform am Tisch saß. Der ÖVP-Minister vereine analytische Gabe mit dem Gespür für erfolgreiche Prozesse, wenn auch gepaart mit einer gewissen Eitelkeit: "Am besten funktioniert es, wenn es so aussieht, als ob die Idee von ihm kommt." Doch das solle den Eindruck nicht trüben, denn Schelling sei hart, aber fair – und am Ende für pragmatische Lösungen zu haben.

PR-Desaster

Das Lob kommt freilich von einer aus ÖVP-Sicht verdächtigen Seite: Urheber ist Werner Muhm, bis vor kurzem Direktor der Arbeiterkammer und in schwarzen Kreisen als nahe am Realsozialismus angesiedelter Ideologe verrufen. Was von einer "pragmatischen Lösung" zu halten ist, die einer wie er anpreist? Nicht viel, urteilt so mancher Parteikollege und bewertet Schellings Ergebnisse diametral anders als Muhm. Man frage sich schon, so der Tenor, wo da der Macher und Marketingprofi sei, als der sich der Finanzminister verkauft habe.

Zum PR-Desaster mutierte ein Projekt, das auf der Erfolgsliste eigentlich ganz oben stehen sollte. Um fünf Milliarden hat die Regierung die Lohn- und Einkommensteuer gesenkt, doch nach dem Beschluss stritt alle Welt nur über eine Ungeheuerlichkeit namens Registrierkassenpflicht, die Firmen Steuerhinterziehung unmöglich machen sollte.

Schuld daran sei Schelling, sagen seine Kritiker: Wenn er schon eine Uraltforderung der Gewerkschaft umsetze, dann wenigstens gedämpft, sodass Kleinunternehmer nicht gepiesackt würden. Doch der Ressortchef habe die Ausformung einem Spitzenbeamten überlassen, der – für einen Budgetwächter logisch – eine Maximalvariante vereinbarte.

Konsequent oder naiv

"Der Finanzminister hat sich von Bürokraten leiten lassen und nicht auf die Praktiker gehört", kritisiert Christoph Leitl, "das hat für viel böses Blut gesorgt." Auch Verschärfungen bei der Grunderwerbsteuer und der Immobilienertragsteuer hätten die Hoffnungen der Unternehmer in den unkonventionellen Vorarlberger enttäuscht, sagt der Präsident der Wirtschaftskammer, die Schelling zu ihren Mitgliedern zählt. Zwar habe dieser noch schlimmere SP-Pläne verhindert, "doch de facto haben wir heute eine Vermögens- und Erbschaftssteuer".

Nachjustierungen akzeptierte Schelling widerwillig. Die Wirtschaftsvertreter bekämpften eine Maßnahme, "die redliche Unternehmen schützt", sie seien "Teil des Problems und nicht der Lösung", konterte er – und fachte den Zorn weiter an. Blanker Hass sei ihm im schwarzen Wirtschaftsflügel entgegengeschlagen, heißt es.

Politiker müssten sich fragen, was dem Land guttue, nicht der Partei, gibt Schelling den Idealisten. Insofern kann man seine Haltung konsequent nennen – oder aber naiv. "Mir gefällt, dass Schelling etwas will", sagt ein ÖVP-Mann, der schon etliche Finanzminister erlebt hat, "doch er kündigt lauthals Dinge an, die von vornherein kaum umsetzbar sind."

So versteifte sich Schelling im Vorjahr auf eine Pensionsreform, schon per se unpopulär, vor einer Präsidentenwahl aber schier ein Himmelfahrtskommando. Druckmittel gegen den Koalitionspartner hatte er nach beschlossener Steuerreform keines in der Hand: Die SPÖ hielt die bisherigen Reformen für ausreichend, wollte also auch nichts durchsetzen.

Der Traum vom großen Wurf

Unbeirrt berief Schelling eine Expertenkommission ein, ließ sich eine Pensionsautomatik empfehlen – um die Forderung dann selbst halb zurückzunehmen. In den Pensionsgipfel ging das schwarze Team mit abgespeckter Wunschliste, am Ende, urteilt ein Parteifreund, habe die SPÖ alles erreicht, die ÖVP nichts – außer den Streit über eine Zuverdienstgrenze in der Pension, der Freiberufler von neuem verkrätzte.

Verteidiger Schellings wenden freilich ein: Bremser in der ÖVP hätten ihm Forderungen, etwa die vorzeitige Anhebung des Frauenpensionsalters, abgeräumt. Der Minister selbst propagiert unverdrossen einen neuen Anlauf.

Schlecht stehen die Zeichen auch für die Reform des Finanzausgleichs, mit der das Steuergeld auf Bundesländer und Gemeinden fairer und sparsamer verteilt werden soll. Wieder beschwor Schelling den großen Wurf, wieder fehlte ihm der Hebel: Die Länder leben mit dem Status quo gut, jetzt soll erst einmal weitere drei Jahre debattiert werden. "Lächerlich" findet das der Grüne Bruno Rossmann, zumal eine solche Frist nicht zum ersten Mal gesetzt werde: "Schelling ist ein Meister der Ankündigung – und des Bauchflecks."

Schelling habe eine Gelegenheit verpasst, glaubt Franz Schellhorn, als Chef des wirtschaftsliberalen Thinktanks Agenda Austria an sich ein Bruder im Geiste: Als den Ländern Haftungskosten für die marode Hypo Alpe Adria drohten, hätte er dies als Druckmittel einsetzen können. Nun, wo es eine Einigung mit den Hypo-Gläubigern gibt, ist die Chance passé.

"Kapitel endlich geschlossen"

Kritik setzt es auch für den Vergleich selbst. Schelling habe für die Steuerzahler zu wenig herausgeholt, moniert die Opposition.

Tatsächlich müssten die Gläubiger "kaum Federn lassen", sagt Franz Hahn vom Wirtschaftsforschungsinstitut, nimmt den Minister aber in Schutz: "Er hatte keinen Spielraum für ein besseres Resultat." Schaden angerichtet habe die Verschleppung der Causa vor seiner Zeit, Schelling hingegen habe "die Notbremse" gezogen: "Er hat dieses Kapitel endlich geschlossen, im Interesse der Republik. Das ist ein Verdienst."

Auch Wirtschaftskammerchef Leitl verbucht die Hypo-Lösung auf der Habenseite, er würdigt überdies die Bemühungen um den Finanzausgleich und die europäische Finanztransaktionssteuer. Mitverantwortet hat Schelling die Aufweichung des Bankgeheimnisses, was sogar die Grünen freut, sein neues Haushaltsrecht wird vom Rechnungshof gelobt. Dass die Länder gegen die entsprechende Verordnung, die ihnen mehr Transparenz bei der Budgetplanung diktiert, beim Verfassungsgerichtshof geklagt haben, darf der Erfinder durchaus als Beleg für ein gelungenes Werk auffassen.

Schellings Budgets bilden den nicht rasend großen gemeinsamen Nenner von SPÖ und ÖVP ab: weder grobe Einsparungen noch spektakuläre Investitionen. Wirklich glücklich macht das, wie die Budgetdebatte im Parlament zeigte, keine der beiden Seiten. Aus der Sicht eines Sparmeisters, wie Schelling einer sein will, lässt sich immerhin hervorheben: Das Nulldefizit liegt in Reichweite.

Selbstbewusst und beratungsresistent

Berechtigt diese Bilanz für höhere Weihen in der ÖVP? Dieser Zug sei seit den Wickeln mit dem Wirtschaftsflügel, auf dem Papier Schellings Hausmacht, abgefahren, glauben viele. Um Parteichef werden zu können, stoße er Leute zu oft vor den Kopf, statt sie zusammenzubringen.

Schwarze Küchenpsychologen sehen dahinter den klassischen Denkfehler eines Quereinsteigers aus der Privatwirtschaft: Im verworrenen Dickicht der politischen Interessen könne man nicht einfach so anschaffen wie in einem Unternehmen. Umso schwieriger werde die Sache, wenn sich so einer dann noch partout nichts sagen lasse. Selbst Sympathisanten beschreiben den selbstbewussten Vorarlberger als hochgradig beratungsresistent: "Er will erklären – und nicht zuhören."

Anfängerfehler lässt sich der 62-Jährige naturgemäß nicht nachsagen, schließlich sei er als einstiger Stadtrat von St. Pölten und Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger kein Greenhorn. Gemunkel, dass er bereits mit einem freiwilligen Rückzug auf sein Weingut kokettiert habe, dementiert der Hobbywinzer mit einem energischen "nie" – auch wenn seine Geduld von den politischen Usancen mitunter stark strapaziert werde. "In einem Unternehmen", sagt Schelling, "funktioniert das so: Du erkennst ein Problem, hast drei Lösungen, wählst eine aus. In der Politik läuft es genauso – und dann beginnen die Verhandlungen." (Gerald John, 15.10.2016)