Anna Veith ist in der Reha kein geduldigerer Mensch geworden. "Der Versuch war vielleicht da."

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STANDARD: Frau Veith, haben Sie sich schon an diese Anrede gewöhnt?

Veith: Ja, mittlerweile. Die Hochzeit ist schon ein paar Monate her. Ich werde auch sehr viel darauf angesprochen.

STANDARD: In den vergangenen eineinhalb Jahren ist auch neben der Hochzeit viel passiert – der Streit mit dem ÖSV, die Verletzung – inwiefern hat Sie diese Phase geprägt?

Veith: Sehr. So wie jede Phase. Es waren große Herausforderungen dabei. Ich habe in den letzten Jahren sehr viele verschiedene Erfahrungen gesammelt. Und leider auch die Verletzung. So hatte ich im vergangenen Jahr Zeit, viele Dinge zu verarbeiten. Auch meine Erfolge. Dafür war davor nie Zeit. Ich habe jetzt viel mehr spüren können, was sie wert sind.

STANDARD: War die Verletzung der Tiefpunkt Ihrer Karriere?

Veith: Körperlich gesehen, ja. So tief unten war ich noch nie. Ich habe zum Beispiel ewig für den Weg in die Küche gebraucht.

STANDARD: Wie geht es Ihnen jetzt?

Veith: Die Heilung verläuft so, wie sie verlaufen soll, die Bänder sind stabil. Die Belastbarkeit des Knies muss ich noch trainieren, da bin ich noch sehr weit weg. Ich merke im Training sofort, wenn es reicht.

STANDARD: Reicht das für einen Start in einer Woche beim Saisonauftakt in Sölden?

Veith: Ich weiß es nicht. Ich werde spätestens einen Tag vor dem Rennen über einen Start entscheiden.

STANDARD: Hat der Skisport für Sie noch denselben Stellenwert wie vor der Verletzung

Veith: Ja. Für mich persönlich hat sich natürlich etwas verändert, ich habe neue Herausforderungen bekommen. Ich musste wieder bei null beginnen. Ich konnte den Schwung, den ich über Jahre aufgebaut habe, nicht mitnehmen. Ich muss mir in jedem Training alles neu erarbeiten.

STANDARD: Sie haben alles gewonnen, was man gewinnen kann. Welche Ziele setzen Sie sich jetzt?

Veith: Im Vordergrund steht, mich heranzutasten. Olympiasieg oder Gesamtweltcup waren vor der Verletzung auch keine nahen Ziele. Es waren eigentlich Lebensziele. Ich hatte nicht jeden Tag vor Augen, dass ich dieses oder jenes Rennen gewinnen will. Ich habe dafür gearbeitet, dass es irgendwann möglich war, das zu gewinnen. Genau das setze ich mir jetzt wieder als Ziel, dass ich jeden Tag dafür arbeite, damit ich später die Möglichkeit habe, so etwas zu gewinnen. Dafür muss ich noch viel tun.

STANDARD: Was waren die großen Unterschiede in der Vorbereitung im Vergleich zu den Saisonen davor?

Veith: Der Körper hat die Grenze vorgegeben. Natürlich hatte ich auch vorher meine Grenzen, aber die waren immer gleich. Nach der Verletzung hatte ich keine Basis mehr. Diese musste ich mir erst erarbeiten. Ich musste jeden Tag körperlich an meine Grenzen gehen. Fünf Wochen nach der Operation war die Grenze, den Fuß zu belasten. Ich habe nicht mehr gewusst, wie ich einen Schritt machen kann. Das musste ich wieder lernen. Die nächste Grenze war schnelleres Gehen. Nach einer halben Stunde Gehen war ich so müde, als wäre ich zwei Stunden gelaufen.

STANDARD: Hatten Sie Hemmungen, als Sie das erste Mal wieder auf Ski gestanden sind?

Veith: Nein. Natürlich bin ich anfangs vorsichtig auf den Skiern gestanden. Ich hatte bereits in einer frühen Phase die Ski angeschnallt. Es war nicht so, dass ich gesagt habe: so, jetzt ist es ausgeheilt und ich tue so, als wäre nichts gewesen. Ich musste mich herantasten. Ich musste schauen, was vom Knie her geht. Am Anfang hatte ich Schmerzen, deswegen bin ich nur gerutscht, ich habe mich an die Belastung gewöhnt. Ich habe es zunächst nicht als Skitraining, sondern als körperliches Training gesehen. Da war ich natürlich weit weg von dem, was vorher war. Aber jetzt geht es mir um einiges besser.

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STANDARD: Eine Reha braucht Zeit – haben Sie dadurch gelernt, geduldiger zu werden?

Veith: Ich bin grundsätzlich sehr ungeduldig, das ist in so einer Phase nicht vorteilhaft. Natürlich zeigt einem der Körper die Grenzen auf. Man muss dann abwarten. Aber ich kann nicht sagen, dass ich dadurch ein geduldiger Mensch geworden bin. Der Versuch war vielleicht da.

STANDARD: Haben Sie Angst davor, dass Sie an Ihre früheren Erfolge nicht mehr anschließen können?

Veith: Angst habe ich nicht. Ich erwarte nicht, dass ich gleich wieder alles gewinne. Darüber darf ich eigentlich nicht nachdenken, weil es mich hemmt. Ich muss das, was war, hinter mir lassen, um für das, was kommt, bereit zu sein. Nur wenn ich das schaffe, kann ich auch wieder etwas Neues, Gutes erleben. Ich bin dankbar dafür, was ich erleben durfte. Ich muss mich eher darauf freuen, was noch kommt. Ich bin ein Jahr nicht gefahren und es ist ein Erlebnis, wieder Rennen zu fahren. Es wird emotional werden. Anders als davor.

STANDARD: Haben Sie jemals daran gezweifelt, dass Sie wieder zurückkehren können?

Veith: Nicht wirklich. Es hat Momente gegeben, wo ich mir gedacht habe, ich weiß nicht, ob es noch geht, oder wie es gehen soll. Aber nach einer Verletzung gibt es immer wieder Rückschläge. Natürlich fängt man da zum Nachdenken an. Grundsätzlich hat immer der Gedanke überwogen, dass ich es wieder schaffen kann. Ich habe einen Traum: wieder genau das Gefühl zu haben, wie man schnell Ski fährt. Und ich habe mir immer gesagt: du nimmst die Herausforderung an, dann kommt vielleicht die nächste. Es hat mir die Frage beantwortet, ob ich weitermache.

STANDARD: Infolge Ihres Zerwürfnisses mit dem ÖSV hat Peter Schröcksnadel Petra Kronberger zur Frauenbeauftragten im Skiverband bestellt. Was halten Sie davon?

Veith: Ich finde es grundsätzlich gut. Ich glaube, dass es nicht nur für Frauen von Vorteil ist, wenn es jemanden gibt, zu dem man gehen kann, wenn man Probleme hat.

STANDARD: Schröcksnadels Begründung für die Einführung dieses Postens war, dass Frauen eine andere Sprache sprächen.

Veith: Wenn er das sagt... Ich denke nicht, dass die Petra deshalb nur übersetzt. Sie ist da, sie redet mit allen, auch mit den Trainern und versucht Inputs zu geben. Egal, wer welche Sprache spricht.

STANDARD: Wie viel Kontakt hatten Sie schon zu Petra Kronberger?

Veith: Wir hatten schon ein ausführliches Gespräch über meinen Werdegang. Es hat sie sehr interessiert, wie ich mich motivieren konnte, als ich noch nicht so erfolgreich war. Ich habe ihr gesagt, was für mich wichtig ist. Ich glaube, damit kann sie schon viel anfangen.

STANDARD: Was haben Sie am meisten am Ski-Weltcup vermisst?

Veith: Am meisten vermisst habe ich einfach das Rennen Fahren. Die Herausforderung, im Starthaus zu stehen und das Gefühl zu haben so schnell wie möglich runter zu fahren. Und natürlich die Chance zu kriegen, das auch zu zeigen.