Moskau/Washington – Syriens Präsident Bashar al-Assad hat die Eroberung der Stadt Aleppo als entscheidendes strategisches Kriegsziel bezeichnet. "Die Einnahme von Aleppo wird ein Sprungbrett zur Befreiung weiterer Städte von Terroristen", sagte er der russischen Tageszeitung "Komsomolskaja Prawda" (Freitag). Nach der Eroberung gelte es dann, die Provinz Idlib zu "säubern".

"Wir müssen die Terroristen in die Türkei zurückdrängen, wo sie herkommen, oder sie liquidieren. Wir haben keine andere Wahl", betonte Assad. In Syrien liege der "Geruch des Dritten Weltkriegs" in der Luft, sagte der Präsident. Der blutige Konflikt in seinem Land sei zu einer Art Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen geworden. "Besonders die USA haben nach dem Zerfall der Sowjetunion den Kalten Krieg nicht gestoppt", sagte Assad, der von Moskau seit mehr als einem Jahr massiv militärisch unterstützt wird. Noch sei es in Syrien aber zu keiner direkten militärischen Konfrontation der Großmächte gekommen.

Militärabkommen

Kremlchef Wladimir Putin unterzeichnete unterdessen wie erwartet ein Militärabkommen über die unbefristete Stationierung von Kampfjets auf einer russischen Basis in Syrien. Die Vereinbarung sieht unter anderem Straffreiheit für russische Soldaten sowie freie Hand beim Transport von Waffen vor.

Zugleich wurde Aleppo erneut zum Ziel heftiger Luftangriffe. Syrische und russische Kampfflugzeuge hätten in der Nacht zum Freitag dutzende Angriffe auf Rebellenviertel im Ostteil der Stadt geflogen, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte.

Die "sehr heftigen" Angriffe hätten mehrere Stadtviertel Ost-Aleppos getroffen und bis zum Vormittag gedauert, berichtete die Beobachtungsstelle, die ihre Informationen von einem Netzwerk von Aktivisten in Syrien bezieht. Ihre Informationen sind von unabhängiger Seite nicht überprüfbar.

Heftige Kritik

Die freiwillige Zivilschutzorganisation Weißhelme bestätigte jedoch die nächtlichen Angriffe. Sie hätten erst am Vormittag nachgelassen, sagte ein Sprecher der Nachrichtenagentur AFP. Rettungsteams versuchten seitdem im Bezirk Tariq al-Bab, Verschüttete aus den Trümmern zu bergen.

Russland und Syrien werden vom Westen wegen der Angriffe auf Ost-Aleppo scharf kritisiert. Ihnen werden der Beschuss von zivilen Zielen und in dem Zusammenhang Kriegsverbrechen vorgeworfen. Russland und Syrien erklärten, sie griffen nur Terroristen in Aleppo an. Über die Stärke der aus der Al-Kaida hervorgegangenen extremistischen Gruppierungen gibt es unterschiedliche Darstellungen. Der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, sprach kürzlich von maximal 900 Extremisten bei insgesamt etwa 8.000 Rebellen. Westliche Diplomaten sagten, ihre Zahl sei weit geringer. Andere Experten bezeichnen die Gruppe, die sich seit einiger Zeit Jabhat Fatah al-Sham nennt, als Elitetruppe, die die Rebellen in Aleppo dominiert.

"Invasion"

In den Konflikt sind zahlreiche Parteien involviert. Assad wird von Russland, Iran sowie schiitischen Milizen aus arabischen Nachbarländern unterstützt. Die sunnitischen Rebellen, die ihn stürzen wollen, erhalten Hilfe von den Golfmonarchien, den USA und der Türkei.

Deshalb kritisierte der syrische Präsident im Interview mit "Komsomolskaja Prawda" auch die Militäraktionen der Türkei in Syrien. Sie kämen einer Invasion gleich und seien ein Verstoß gegen das Völkerrecht sowie eine Verletzung der Souveränität Syriens. Die türkische Armee soll eine Pufferzone an der Grenze schaffen, in der weder kurdische Milizen noch Kämpfer der Extremistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) geduldet werden.

Modernere Waffen

US-Präsident Barack Obama und seine engsten Berater werden nach Angaben aus Regierungskreisen wohl noch in dieser Woche direkte militärische Optionen in Syrien abwägen. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, ist noch für den Freitag ein Treffen dazu im Weißen Haus geplant. Eine Option sieht den Informationen zufolge Luftangriffe auf syrische Militärstützpunkte, Luftabwehrstellungen und Munitionsdepots vor. Allerdings berge dies die Gefahr, dass auch Einheiten des syrischen Verbündeten Russland unter Beschuss kommen könnten. Obama wolle aber eine direkte Konfrontation mit den Russen vermeiden. Eine Alternative besteht Regierungsvertretern zufolge darin, von den USA unterstützte Rebellen mit moderneren Waffen auszurüsten.

Keine Fortschritte erwartet

US-Außenminister John Kerry und sein russischer Kollege Sergej Lawrow wollen am Samstag im schweizerischen Lausanne über die Lage in Syrien beraten. Dabei soll es auch darum gehen, welche Kämpfer in Aleppo den Extremisten zugerechnet werden. Aus US-Regierungskreisen verlautete aber, es gebe wenig Hoffnung auf diplomatische Fortschritte.

An dem Treffen sollen mit den USA, der Türkei, Katar und Saudi-Arabien die Hauptunterstützer der Opposition teilnehmen. Mit Russland und dem Iran werden aber auch die wichtigsten Unterstützer von Machthaber Bashar al-Assad vertreten sein. Dass Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif teilnehmen wird, war am Freitag bekannt geworden. Zuvor hatten iranische Medien berichtet, der Iran werde nicht an dem Treffen beteiligt sein.

Helfer fordern Waffenruhe

Vor dem Treffen haben vier Hilfsorganisationen einen Aufruf zu einer Waffenruhe in Aleppo veröffentlicht. In einem offenen Brief an die verantwortlichen Diplomaten forderten am Samstag Save the Children, Oxfam International, das International Rescue Committee und der Norwegische Flüchtlingsrat eine sofortige 72-stündige Feuerpause in den von Rebellen kontrollierten Gebieten. Die Waffenruhe solle es erlauben, Hilfsgüter in die belagerten Viertel zu schaffen und Verletzte in Sicherheit zu bringen. (APA, red, 15.10.2016)