Protestliegen auf dem Küchenboden: "Short Stay".

Foto: Viennale

Ständig in Bewegung zu sein und dennoch möglichst unbeweglich zu bleiben ist auch eine Kunst. Beherrscht man diese, dann hat man gelernt, sich einfach mit den anderen mitzubewegen. Das zu tun, was die anderen von einem wollen oder erwarten. Mit dem Strom zu schwimmen und zwischendurch für kurze Zeit aufzutauchen und Luft zu schnappen, um wenigstens nicht zu ertrinken.

Mike (Mike Maccherone) ist ein solcher Künstler. In seinem Job im Pizzaladen an der Ecke bedient er effizient und freudlos, beim Ausliefern läuft er den Menschen buchstäblich in die Arme. Die Pizzascherben bringen ihm allerdings dann kein Glück. Als familiärer Mitläufer wohnt er dafür nach wie vor bei seiner Mutter, das Eishockeyspiel beobachtet er wie gewohnt hingegen mutterseelenallein auf der Tribüne sitzend. Außerdem ist in Philadelphia gerade wieder einmal Winter, was die zwischenmenschlichen Kontakte ohnehin einschränkt.

Mit seiner Low-Budget-Produktion Short Stay hat Ted Fendt einen Film gedreht, der sich in die Tradition des seit Jahren starken realistischen US-Indiekinos einreiht und an die Arbeiten etwa von Debra Granik oder an die frühen Filme Kelly Reichardts anschließt. Es ist ein Blick auf eine Wirklichkeit, mit dem die Menschen als das wahrgenommen werden, was sie sind: einfach. Kompliziert wird es erst, wenn sie versuchen, etwas zu ändern, obwohl sie es – wie Mike – gar nicht vorhatten. Etwa wenn der Bekannte für ein paar Monate nach Polen fährt und Mike sein Apartment zur Verfügung stellt.

Filme für Freunde

In einem Interview erklärte Fendt, dass er seine Filme – nach drei kurzen Arbeiten dauert Short Stay als erster Langfilm knapp über einer Stunde – für ganz bestimmte Menschen schreibe. In seiner Heimatstadt Philadelphia sind das rund um Mike Maccherone jene Freunde, die Fendt seit der Highschool kennt und als Laiendarsteller einsetzt. Ihm ginge es darum, "offen zu sein für das Unerwartete", das sich erst dann einstellt, wenn sich Leute "so benehmen, wie sie sind. An einem Tag so, am nächsten anders."

Und so sind es auch die Widersprüche und die Ungereimtheiten, die Short Stay bestimmen und eine Atmosphäre des Unerwarteten erzeugen. Die gespannte Erwartungshaltung, mit der man Mike durch seinen Alltag begleitet, geht mit einer unmittelbaren Gegenwärtigkeit einher: Unterhaltungen dauern hier gerade so lange, dass sie zu keinen Gesprächen werden; Begegnungen so kurz, dass sie zu keinen verbindlichen Beziehungen führen. Und eine Vereinbarung kann in dem Augenblick wieder gebrochen werden, wenn der Bekannte früher als geplant wieder nach Hause kommt und die Wohnung für sich reklamiert. Dann bleibt Mike nichts anderes übrig, als sich renitent und kindgerecht auf den Küchenboden zu legen.

Fendt, Filmvorführer am Lincoln Center, Kurator, Übersetzer u. a. von Godard und Rohmer sowie Herausgeber eines Bandes über Straub/Huillet, ist wohl einer der umtriebigsten jungen Regisseure der New Yorker Filmszene. Nun hält er ein weiteres Erbe hoch: Gedreht auf analogem Material, ist Short Stay auch ein Film darüber, wie schnell die Gegenwart sich ändern kann. (Michael Pekler, 14.10.2016)