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Das Flüchtlingslager Azraq im Nordosten Jordaniens. Die EU hat in dem Land ein Projekt gestartet, das den dort Lebenden Arbeit gibt. Laut Uno beherbergt Jordanien mehr als 600.000 syrische Flüchtlinge, die Regierung in Amman spricht sogar von 1,4 Millionen.

Foto: AP / Sam McNeil

Wien – Es wird damit nicht das Rad neu erfunden, so viel schon vorweg – doch es könnte ein wichtiger Schritt nach vorn sein. Flüchtlingsstädte, so die Idee, sollen Flüchtlingslager ablösen. Das primäre Ziel aber lautet, Flüchtlingen Arbeit zu verschaffen, damit sie nicht mehr abhängig von Hilfslieferungen sind.

Arbeit für Flüchtlinge ist ein heikles Thema, nicht nur in Österreich – Stichwort 2,50 Euro –, sondern auch in Jordanien, das laut Amnesty-Bericht mit 2,7 Millionen weltweit die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Es ist wohl eine Urangst, dass Fremde einem die Arbeit wegnehmen, einem den existenziellen Boden unter den Füßen wegziehen.

Mittel gegen Armut

Genau darauf nimmt das Konzept aber Rücksicht – ein Konzept, das mehrere Namen trägt. Der US-amerikanische Ökonom Paul M. Romer nannte es 2009 "Charter City": eine Sonderverwaltungszone in wachstumsschwachen Ländern als Mittel gegen Armut. Eine Regierung wählt ein Stück unbesiedeltes Land und überlässt es komplett einem anderen Land oder einer internationalen Organisation wie der Uno. Dort soll mithilfe von Auslandsinvestitionen ein Wirtschaftsmotor geschaffen werden. Und ein eigener Rechtsrahmen, sprich eigene Legislative, Judikative und Exekutive, soll die Stabilität garantieren, um internationale Geldgeber anzulocken.

Romers Vorschlag wurde damals breit diskutiert und unter anderem als neokolonialistisch kritisiert. Auch wurde moniert, dass die Kosten für eine "Charter City" immens und unrealistisch wären. Das hinderte die beiden Oxford-Professoren Paul Collier und Alexander Betts aber nicht daran, im vergangenen Oktober im Magazin "Foreign Affairs" ein ähnliches Konzept der "Special economic zones" (SEZ) vorzustellen und darauf zu verweisen, dass etwa 60 Prozent der Flüchtlinge weltweit in gerade einmal zehn Ländern aufgenommen wurden. Mit ihren Sonderwirtschaftszonen sollen dort die Flüchtlinge von einer Belastung zu einem Gewinn werden.

Arbeit auch für Einheimische

Die Idee der SEZ sorgte für Aufsehen – und dafür, dass sie auf verschiedenen Wegen weitergesponnen wurde. So hat etwa Michael Castle Miller vor einem Jahr in den USA die Organisation "Refugee Cities" gegründet, um die Idee in ein umsetzungsfähiges Konzept umzuwandeln. Besagter Urangst – in Jordanien beträgt die Arbeitslosigkeit offiziell 14 Prozent, Schätzungen gehen von knapp 30 Prozent aus – will er damit begegnen, dass auch Einheimische dort Arbeit finden sollen.

"Wirtschaft und Infrastruktur in diesen Ländern werden gestärkt, Flüchtlinge und Einheimische bekommen in diesem geschützten Raum Arbeit", sagt Castle Miller dem STANDARD. Wie der Name seiner Organisation schon besagt, will er die Idee der SEZ erweitern und richtige Städte bauen. "Die Lebensbedingungen in den Camps sind nicht nur schlecht, sondern auch kostspielig, wenn man nur an die Wasserlieferungen mittels Lastwagen denkt", so der Jurist, der sich auch gut vorstellen kann, die bereits bestehenden Flüchtlingslager in Städte umzuwandeln.

Viele offene Fragen

Bis zu einer Umsetzung ist es aber ein weiter Weg, noch sind viele Fragen offen. Besteht etwa nicht die Gefahr, durch solche Städte Flüchtlingsghettos zu schaffen? "Wir wollen ja, dass auch Einheimische dort arbeiten und leben", entgegnet Castle Miller. Doch wollen Einheimische unter so vielen Flüchtlingen leben? "Man müsste Hilfsorganisationen einbinden, die das soziale Leben dort ordnen", lautet darauf seine Antwort.

Und dann wäre da noch die Sache mit dem Geld. "Natürlich kostet es anfangs mehr, wenn man Gebäude statt Zelte baut, doch langfristig gesehen ist es kosteneffizienter und trägt etwas zur Wirtschaft bei", sagt Castle Miller, ohne konkrete Zahlen zu nennen. Derzeit versucht sein Team, Regierungen, internationale Organisationen und Investoren von der Idee zu überzeugen – unter anderem damit, dass dann weniger Menschen nach Europa kommen würden. Wenn alles passt, "könnte in drei bis fünf Jahren eine Flüchtlingsstadt voll funktionsfähig sein", so der US-Amerikaner.

EU investiert in Jordanien

Einen Schritt weiter ist bereits die EU, die im August einen Deal mit der jordanischen Regierung über eine Sonderwirtschaftszone abgeschlossen hat. 5,5 Millionen Euro, so ein EU-Offizieller zum STANDARD, investiert Brüssel in das sogenannte Fablab-Projekt. Richtlinie für dortige Firmen in den ersten zwei Jahren ist, dass 15 Prozent ihrer Belegschaft aus Flüchtlingen bestehen müssen. Nahe der Zone, im Norden Jordaniens, befindet sich das Flüchtlingslager Zaatari, in dem rund 80.000 Syrer untergebracht sind.

In einem Papier vom September begrüßt das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) die Initiative der EU, weist aber auch darauf hin, dass viele Firmen oft nur geschulte Arbeitskräfte anstellen, dafür aber sehr niedrige Gehälter bezahlen. Kritisiert wird außerdem, dass gerade einmal 1,5 Prozent der Arbeitsplätze für Flüchtlinge Frauen zufallen. UNHCR, heißt es abschließend, will daran arbeiten, dass es für Flüchtlinge sichere und akzeptable Arbeitsbedingungen gibt. Wie gesagt, es ist noch ein weiter Weg. (Kim Son Hoang, 13.10.2016)