"Grab them by the pussy" – Trumps zwanglose Aussagen erfüllen für viele Kritiker die Beschreibung und Verharmlosung von sexuellen Übergriffen. Der republikanische Präsidentschaftskandidat sieht sich mittlerweile mit konkreten Übergriffsanschuldigungen konfrontiert.

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Ein zufällig aufgezeichnetes Gespräch zwischen dem republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und NBC-Moderator Billy Bush im Vorfeld einer Fernsehshow sorgt dieser Tage für einige Aufregung. In der kurz vor der zweiten TV-Auseinandersetzung zwischen Trump und seiner demokratischen Rivalin Hillary Clinton publik gewordenen Passage erklärt der umstrittene Geschäftsmann, er könne als Prominenter von schönen Frauen alles bekommen, was er wolle.

Er sei "automatisch angezogen" von ihnen und fange einfach so an, sie zu küssen. "Wenn du ein Star bist, lassen sie doch das machen", so der Wortlaut im Video. "Pack‘ sie an der Pussy. Du kannst alles tun."

Tausende Frauen berichten von Übergriffen

Auf sozialen Medien machen nunmehr viele Frauen nicht nur ihrem Ärger über diese Aussagen Luft. Es handle sich nicht nur um Gerede aus der Herrenumkleide, sondern die Schilderung sexueller Übergriffe, wie sie viele tagtäglich erleben. Die kanadische Bloggerin und Autorin Kelly Oxford hat ihre hohe Reichweite auf Twitter genutzt und unter dem Hashtag #notokay ("nicht in Ordnung") zu Schilderungen aufgerufen.

Bald führte dieser die Charts des Kurznachrichtendienstes in den USA an. Alleine in den ersten 14 Stunden seien ihr wenigstens 50 Übergriffe pro Minute geschildert worden, so Oxford. Das habe sie selbst überrascht, erklärte sie später in einem Interview. Weil es sich um eine sehr persönliche Angelegenheit handele, habe sie lediglich mit "einer Handvoll" Antworten gerechnet. Die New York Times, die Vogue und zahlreiche andere Medien haben Reaktionen auf Twitter und Facebook dokumentiert.

Die Krankenhausverwalterin Wendy Luxemburg berichtet etwa, dass ihr ein Unbekannter in einem Kaufhaus in Florida zwischen die Beine gegriffen hätte. Sie sei damals elf Jahre alt gewesen, ihre Mutter nur eine Regalreihe weiter gestanden. Schauspielerin Amber Tamblyn wurde einst von einem Ex-Freund an Haaren und im Intimbereich angepackt und "wie etwas, das er besitzt oder ein Müllsack" aus einem Club getragen.

Die Welle an Erlebnisberichten erinnert an den deutschen "#Aufschrei" auf Twitter. Dieser war Anfang 2013 infolge einer Sexismus-Debatte rund um Übergriffsvorwürfe gegen den FDP-Politiker Rainer Brüderle und einem Bericht über Frauenfeindlichkeit in der Piratenpartei entstanden.

Auch zahlreiche Männer schalteten sich in die #notokay-Diskussion ein. Viele Trump-Gegner hielten dabei fest, dass seine Äußerungen keineswegs Gang und Gebe in Umkleidekabinen seien.

Problematische Zwanglosigkeit

Während Trump und einige seiner Unterstützer auf Clintons Ehemann und Ex-Präsidenten Bill Clinton verwiesen, dem neben der Lewinsky-Affäre auch andere Affären und ebenso Übergriffe angelastet werden, hat Trumps "zwanglose" Konversation mit Billy Bush laut vielen Reaktionen wohl einen Nerv getroffen, so die New York Times. Ein Empfinden, das die Verharmlosung der Aussagen zum "Umkleidegespräch" womöglich noch verstärkt hat.

"Das ist Rape Culture, die kulturelle Konditionierung von Jungen und Männern, sich dazu berechtigt zu fühlen, Frauen wie Objekte zu behandeln", kritisierte etwa die Handelsmanagerin Jill Gallenstein auf Facebook. Andere äußerten sich ähnlich – Trumps Aussagen würden zeigen, dass derlei Verhalten von vielen als normal hingenommen werde. Feministische Gruppierungen und Frauenrechtsorganisationen ließen ebenfalls kein gutes Haar am republikanischen Präsidentschaftsanwärter.

Auch konkrete Übergriffs-Anschuldigungen

Auch Trumps überraschende Pressekonferenz vor der zweiten TV-Debatte erhielt aus den Reihen des #notokay-Lagers Kritik. Bei dieser trat der Kandidat mit drei Frauen auf, die schon seit Jahren Bill Clinton mehrerer Übergriffe bezichtigen. Doch das tat Trump in den Augen seiner Kritikerinnen nicht, um Opfern von Missbrauch eine Stimme zu geben, sondern nutzte sie, um von seinen eigenen Verfehlungen abzulenken.

Mittlerweile wird Trump selber öffentlich von zwei Frauen konkreter Übergriffe beschuldigt, was weitere Kritik zur Folge hatte – auch durch First Lady Michelle Obama im Rahmen eines Wahlkampfauftrittes für Hillary Clinton. Trump selbst streitet die Vorwürfe vehement ab und hat der New York Times ob der Veröffentlichung mit rechtlichen Schritten gedroht. Dort sieht man einer gerichtlichen Auseinandersetzung allerdings gelassen entgegen.

Aufmerksamkeit für Thema als positiver Aspekt

Einer Analyse des Statistikexperten Nate Silver zufolge würde er zwar von Männern immer noch mehrheitlich gewählt, aber mit einem gewaltigen Erdrutsch verlieren, wenn nur Frauen zur Urne schritten. Ein Teil von Trumps Anhängern stellt in sozialen Medien nunmehr das Frauenwahlrecht in Frage, hohe Reichweite erlangte der Hashtag #repealthe19th laut Washington Post aber primär durch jene Nutzer, die ihrem Ärger über seine Existenz Ausdruck verliehen.

Bei der National Organization für Women of New York konnte man der Diskussion rund um den "Locker Room Talk" allerdings einen positiven Aspekt abgewinnen. "Die Ironie für mich ist", so Präsidentin Sonia Ossorio, "dass es Donald Trump in einem Wahlkampf mit wenig konkreten Politikinhalten versehentlich gelungen ist, ein sehr ernstes Thema ins Rampenlicht zu stellen." (gpi, 14.10.2016)

Update, 11:00 Uhr: Text um zusätzliche Anmerkung zur Forderung mancher Trump-Anhänger, das Frauenwahlrecht abzuschaffen, ergänzt.