Auch österreichische Winzer haben das Geschäft mit Pet Nats erkannt und erzeugen die gefragten Schaumweine.

Foto: Hersteller

Eines Morgens seien die besorgten Nachbarn vor ihrer Türe gestanden, weil sie dachten, letzte Nacht habe bei ihnen eine Schießerei stattgefunden, erzählt Alice Bouvot von Domaine de L'Octavin. Dabei waren es nur ihre ersten Versuche mit "Pétillant Naturel", kurz "Pet Nat". "So ganz haben wir damals den wilden Sprudel noch nicht unter Kontrolle gehabt", schmunzelt sie, "die meisten Flaschen sind im Keller explodiert."

Wie viele Winzer im Jura und der Loire entdeckte sie vor einigen Jahren die älteste Art der Schaumweinerzeugung wieder: Dabei wird der Most noch gärend in die Flasche gefüllt, wo er, mit einem Kronkorken verschlossen, fertiggärt. Genau genommen ist Pet Nat ein Perlwein, wie halbschäumender Wein unter drei bar Druck bezeichnet wird.

Explosiv

Während bei Champagner fertiger Wein in die Flasche gefüllt und mittels exakt dosierter Zugabe von Zucker und Hefe eine zweite Gärung in der Flasche initiiert wird, durchläuft Pet Nat nur eine einzige Gärung – ohne äußeres Zutun. Die natürlichen Hefen entwickeln ein reges Eigenleben und entziehen sich praktisch jeglicher Kontrolle. Ist der durch die Spontangärung entstandene Kohlensäuredruck in der Flasche zu hoch, explodieren sie.

Bevor in der Champagne die "méthode traditionelle" erfunden wurde, musste man sich auch dort noch auf dieses Abenteuer einlassen. Im Languedoc gibt es die ursprüngliche Art der Schaumweinerzeugung unter dem Namen "méthode ancestrale" immer noch – mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Erst als sich französische Naturweinwinzer wieder für die rustikalen Schaumweine begeisterten, erlebten sie eine Renaissance und lösten in der Szene einen richtiggehenden Boom aus: Von London bis New York hatten plötzlich alle angesagten Restaurants Pet Nats auf ihrer Weinkarte. Seit kurzem sind sie auch unter heimischen Bio- und Naturweinwinzern der letzte Schrei.

Unberechenbar

Was aber macht die Faszination dieser explosiven Methode aus, die an russisches Roulette erinnert? Es sei genau diese Unberechenbarkeit, die ihn reize, meint etwa Josef Maier vom Weingut Geyerhof, der als einer der Ersten Pet Nats erzeugte. "Ab dem Zeitpunkt, zu dem der gärende Most in die Flasche kommt, ist das Ding nicht mehr zu steuern", erklärt er, "es ist Natur pur." Man könne selbst experimentieren.

Trotzdem ist die Produktion von Pet Nats ein kompliziertes, herausforderndes Verfahren und nichts für schwache Nerven. Der Zeitpunkt des Umfüllens ist von entscheidender Bedeutung: Bringt man den gärenden Most zu spät in die Flasche, sprudelt er kaum. Füllt man ihn hingegen zu früh ab, wird der Kohlensäuredruck in der Flasche oft zu hoch. Die Folgen sind bekannt.

Von zart bis hart

Mittlerweile hätten sie das Prozedere ganz gut im Griff, glaubt Alwin Jurtschitsch. Gemeinsam mit Martin Arndorfer produziert er unter dem Label "Fuchs und Hase" aufregende Pet Nats. Fünf Varianten sind am Markt, die sich durch die Auswahl der Rebsorten, aber auch hinsichtlich der Intensität unterscheiden. "Vol. 1" ist die Einstiegsdroge, "Pet Nat Reserve" die Hardcore-Version. Dass das wilde Zeug am Markt so derart einschlagen würde, damit hätten sie allerdings nicht gerechnet.

Es ist wohl dieses Image des Unbändigen, das gerade jungem Publikum gefällt. Sie besitzen weder die kühle Noblesse von Champagner noch das biedere Image von Sekt. Pet Nats sind unprätentiös und machen Spaß. Dabei tragen sie freche Namen wie "In a hell mood" oder "Sturm Frizz". Der Natursprudel hat jedenfalls schon jetzt Kultcharakter. Auch Moritz Herzog, Naturweinhändler der ersten Stunde, ist ein Fan der "Funky Bubbles". Pet Nats seien derzeit heiß begehrt – für wenig Geld bekomme man viel Qualität. Es sei ein guter Einstieg in das Thema Natural Wines. "Beim Schaumwein sind die Kunden nicht so auf einen bestimmten Geschmack konditioniert", glaubt er, "sie haben weniger Berührungsängste mit ungewohnten Aromen."

Überdruck entladen

Der kleine burgenländische Ort Gols ist ein Ballungszentrum für Pet Nats: Gleich vier Winzer produzieren dort Naturschaumwein. Claus Preisinger ist einer von ihnen: Für seinen St. Laurent Ancestrale verwendet er reife Trauben aus den besten Lagen. Denn Pet Nat sei ja keine Resteverwertung. Die Möglichkeit, Schaumwein auf komplett natürliche Weise, ohne Zusätze und Interventionen zu produzieren, fasziniert ihn. Aber auch der Nimbus des Anarchischen. "Die haben ihren eigenen Kopf", weiß er.

Er füllt den Most in einem frühen Gärstadium ab – wenn er noch viel Zucker hat. Dafür wird der fertige Schaumwein degorgiert. Ein Verfahren, das auch bei Champagner oder Sekt angewendet wird: Die von der Gärung übrige Hefe wird kontrolliert aus der Flasche eliminiert – dabei entlädt sich auch möglicher Überdruck. Preisinger entschloss sich zu der Methode, nachdem nichtdegorgierte Probeflaschen, die er Freunden schenkte, beim Öffnen deren Wohnung verwüsteten. Durch den hohen Kohlensäuredruck schoss der Sprudel explosionsartig wie eine Fontäne aus der Flasche.

Volles Risiko

Der Biowinzer Christoph Hoch aus dem Kamptal hingegen bevorzugt die nichtdegorgierte Variante. No risk no fun. Er beschäftigt sich geradezu wissenschaftlich mit dem explosiven Stoff. Sein Pet Nat "Kalkspitz" ist das Ergebnis eines ausgeklügelten Verfahrens. Um den Prozess der Schaumweinproduktion bis ins kleinste Detail zu analysieren, tauschte er sich monatelang mit Winzern aus der Champagne aus. Letztlich entschied er sich gegen die dort übliche traditionelle Methode: "Es war mir einfach zu langweilig", sagt er.

Ein Champagnerwinzer schenkte ihm dennoch einige gebrauchte Fässer – aber nur, wenn es ihm gelänge, konstant hochwertige Pet Nats zu produzieren. Nach einer dreijährigen Experimentierphase präsentierte Hoch 2015 schließlich seinen ersten Pet Nat. Die Fässer durfte er behalten. Er verkauft den Natursprudel wie warme Semmeln. Es scheint fast so, als sei Pet Nat der neue Prosecco. Nur besser. (Christina Fieber, RONDO, 22.10.2016)