In Österreich ist die Forderung einer Abschaffung der Geschworenengerichte äußerst unpopulär. Doch was spricht eigentlich gegen Schöffengerichte?

Foto: standard/Regine Hendrich

Vor wenigen Tagen erschien im STANDARD ein Kommentar der anderen von Hellmut Butterweck zum Thema Geschworenenprozess ("Geschworenenjurys: Fehlbar, aber nicht ersetzbar"). Der Autor führt darin aus, dass Berufsrichter nicht weniger fehleranfällig seien als Laienrichter. Er übersieht dabei etwas Wesentliches: Berufsrichter haben ihre Urteile zu begründen. Das Urteil eines Geschworenengerichts hingegen stützt sich auf den Wahrspruch der Geschworenen und enthält keine Begründung. Es ist somit so gut wie nicht anfechtbar.

Urteile von Berufsrichtern müssen die Feststellung des Sachverhalts, Beweiswürdigung und eine rechtliche Beurteilung enthalten und können daher wegen unrichtiger Sachverhaltsdarstellung, unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten werden. Urteile von Geschworenen können jedoch nur durch die Einbringung einer Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verfahrensmängeln bekämpft werden. Etwa wenn das Gericht oder die Geschworenenbank nicht gehörig besetzt war oder die Verhandlung ohne Verteidiger geführt wurde. Da selten ein derartiger Verfahrensmangel vorliegt, sind Urteile eines Geschworenengerichts in aller Regel unbekämpfbar.

Überforderte Geschworene

Ein legendärer Strafverteidiger pflegte dem Abhilfe zu schaffen, indem er ersuchte, den Verhandlungssaal kurz verlassen zu dürfen, um in seiner Kanzlei anzurufen. Wenn das Urteil schlecht ausging, machte er seine Abwesenheit als Verfahrensmangel geltend – denn der Verteidiger war nicht während der gesamten Prozessdauer anwesend. Allerdings sprach sich das schnell herum. Ich war selbst dabei, als der vorsitzende Richter auf das Ersuchen des Verteidigers, den Saal kurz verlassen zu dürfen, trocken erklärte: "Ja ja, das kennen wir schon. Wenn Sie telefonieren wollen, unterbrechen wir die Verhandlung kurz." Dies macht deutlich, welch steiniger Weg die Geltendmachung eines Verfahrensmangels ist.

Die herrschende Meinung ist, den Geschworenen als Laien könne ein Urteil samt Sachverhaltsdarstellung, Beweiswürdigung und rechtlicher Beurteilung nicht zugemutet werden. Das wird wohl richtig sein. Wie schwierig Rechtsbegriffe für Laien zu verstehen sind, habe ich im Zuge eines Prozesses in Spanien erlebt. Der Angeklagte hatte seine Freundin mit Benzin übergossen und angezündet, sie war qualvoll verbrannt. Er hat behauptet, es sei keine Absicht gewesen, er habe nur einen Spaß machen wollen. Der Staatsanwalt versuchte den Geschworenen den Unterschied zwischen direktem und bedingtem Vorsatz zu erklären. Bedingter Vorsatz ist, wenn die Tat zwar nicht direkt beabsichtigt war, die Folge der Tat jedoch billigend in Kauf genommen wurde. An den Gesichtern der Geschworenen war zu erkennen, dass sie kein Wort verstanden hatten. Tatsächlich haben sie den Angeklagten auch nicht wegen vorsätzlicher, sondern nur wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

Die Urform des Strafprozesses

Geschworenengerichte sind quasi die Urform des Strafprozesses. Im alten Athen gab es bereits eine hochentwickelte Laiengerichtsbarkeit, im alten Rom tagten ständige Laiengerichte, und die germanischen Volksgenossen versammelten sich beim "Thing", um Recht zu sprechen. Im Spätfeudalismus wurden die Laiengerichte – außer in England, wo es durchgehend Laiengerichte gab – beseitigt und durch den Inquisitionsprozess ersetzt. Im Zuge der Französischen Revolution forderten die Bürger die Mitwirkung an der Rechtsprechung nach dem Vorbild der englischen Schwurgerichte, und zwar als Ausdruck der Gewaltenteilung und Mitwirkung der Bürger in allen Staatsfunktionen. In der Folge wurden die Geschworenengerichte auch in den anderen europäischen Ländern eingeführt.

In Österreich ist die Geschworenengerichtsbarkeit quasi ein Kind der Märzrevolution von 1848. Im Jänner 1934, in der Zeit des autoritären Ständestaats, wurde das Verfahren in der Weise neu geregelt, dass die Rechtsbelehrung und die Zusammenfassung der Beweisergebnisse hinter verschlossenen Türen stattfanden, und wenige Monate später wurde die Geschworenengerichtsbarkeit beseitigt und durch ein Schöffengericht ersetzt. Schöffen beraten und entscheiden mit den Berufsrichtern gemeinsam. 1950 wurden die Geschworenengerichte unter viel Getöse – "Garant der bürgerlichen Freiheit", "Eckpfeiler der Demokratie", "Bollwerk gegen staatliche Tyrannei" – gegen den Widerspruch von Vertretern der Rechtswissenschaft und Praktikern wiederhergestellt, und zwar unter Beibehaltung der "heimlichen Beratung".

Andere Länder

In fast allen europäischen Ländern wurden die Geschworenenprozesse abgeschafft, in Deutschland schon im Jahr 1924. Geschworenengerichte gibt es nur noch in England, Russland, Belgien und Spanien. In Belgien ist das System allerdings gehörig ins Wanken gekommen, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Taxquet ausgesprochen hat, dass der Beschwerdeführer die Beweggründe seiner Verurteilung nicht erkennen konnte. Belgien hat daraufhin das Prinzip der "conviction intime", wonach der Geschworene nur seiner "inneren Überzeugung" folgen soll, fallenlassen und ein Gesetz erlassen, wonach "eine Verurteilung nur dann ausgesprochen werden darf, wenn aus den aufgenommenen Beweisen hervorgeht, dass der Angeklagte jenseits jeglichen vernünftigen Zweifels an der ihm zur Last gelegten Straftat schuldig ist". Der Fall ging an die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, und die löste das Problem auf diplomatische Weise. Einerseits wurde bestätigt, dass der Beschwerdeführer durch das Fehlen einer Begründung in seinem Recht auf ein faires Verfahren nach Artikel 6 Menschenrechtskonvention verletzt ist, andererseits sieht der Gerichtshof jedoch keinen Anlass, das Jurysystem, das keine Begründung des Urteils verlangt, infrage zu stellen. Das soll jedes Land mit sich selbst ausmachen.

Zu dieser Zeit kursierte ein Witz im Internet. Der Verurteilte fragt den Richter, warum er verurteilt wurde. Der Richter antwortet: "Das geht Sie gar nichts an, das ist meine innere Überzeugung." Für Österreich könnte dieser Witz nach dem Prozess in Graz dahingehend abgewandelt werden, dass dem Verurteilten geantwortet wird: "Das geht Sie gar nichts an, das ist mein Bauchgefühl."

Die Begründung des Wahrspruchs

In Spanien ist man einen anderen Weg gegangen. Die Verfassung aus dem Jahr 1978 sieht vor, dass ein Gerichtsurteil eine Begründung zu enthalten hat. Dem wurde bei der Wiedereinführung der Geschworenengerichte im Jahr 1995 Rechnung getragen, indem normiert wurde, dass die Geschworenen in knapper Form ihre Entscheidungsgründe darzulegen haben und der Richter dann darauf basierend ein Urteil abzufassen hat.

Daraus resultiert die paradoxe Situation, dass eine Person eine Entscheidung begründen muss, an der sie nicht mitgewirkt hat und mit der sie vielleicht gar nicht einverstanden ist. Ein Richter ließ darüber seinem Unmut freien Lauf: "Die Empfindungen des gemeinen Volkes, ohne einen Funken von Rechtskultur, im Nadir der Ignoranz angelangt ..." Nach Anfangsschwierigkeiten scheint sich das System eingespielt zu haben. In Fällen, in denen der Richter mit der Entscheidung nicht einverstanden ist, wird er der Versuchung ausgesetzt sein, dies in der Urteilsbegründung in irgendeiner Weise zum Ausdruck zu bringen und damit die Weichen für die Aufhebung des Urteils zu stellen.

Die "heimliche" Rechtsbelehrung

Dass die Rechtsbelehrung und die Zusammenfassung des Prozessstoffs nicht öffentlich, sondern im Beratungszimmer der Geschworenen und darüber hinaus auch noch ohne Beisein der Parteien erfolgen, ist eine österreichische Besonderheit. In allen anderen Ländern, in denen es noch Geschworenengerichte gibt, findet dies öffentlich statt. In Spanien kam es gleich beim ersten Prozess in Castellón zur Aufhebung eines Urteils wegen Verletzung des Öffentlichkeitsgebots. Nachdem die Geschworenen schon längere Zeit beraten hatten, ersuchten sie den Richter schriftlich um Erläuterung, was exzessive Notwehr bedeutet. Der Richter erteilte ihnen die gewünschte Belehrung, allerdings ohne dazu den Verteidiger und den Staatsanwalt beizuziehen.

Dass in Österreich dies alles im "stillen Kämmerlein" stattfindet, ist umso bedenklicher, als der Strafprozess "inquisitorisch" ist, was bedeutet, dass "amtswegige Wahrheitsfindung" gefordert ist. Es ist somit Sache des Gerichts, die Wahrheit zu erforschen, dies im Gegensatz zum Parteienprozess, der vor allem in den USA praktiziert wird. Dort obliegt es den Parteien, die jeweiligen Beweise zu erbringen, während der Richter unparteiisch das Gefecht beobachtet, das sich die Parteien liefern. Es stellt daher meines Erachtens eine grobe Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren dar, wenn der Richter, der schon vom System her der Anklage näher steht als der Verteidigung, den Geschworenen ohne Beisein der Parteien die Rechtsbelehrung erteilt und die Beweisergebnisse zusammenfasst.

Warum nicht die Schöffengerichte ausweiten?

In Österreich ist es äußerst unpopulär, die Abschaffung der Geschworenengerichte zu fordern. Es gilt als undemokratisch und Ausdruck einer autoritären Gesinnung. Es wird daher verschämt der Euphemismus "Reformierung" verwendet und vorgeschlagen, dass die Geschworenen mit den Berufsrichtern gemeinsam entscheiden. Diese Gerichte gibt es aber schon, das sind Schöffengerichte. Es müsste nur ihre Zuständigkeit ausgedehnt werden auf die Straftaten, die derzeit in die Zuständigkeit der Geschworenengerichte fallen. Es ist Zeit, das Broda-Denkmal Geschworenenprozess vom Sockel zu stürzen. (Katharina Rueprecht, 12.10.2016)