Die Parteimanager Georg Niedermühlbichler (SPÖ) und Werner Amon (ÖVP) im koalitionär-verfreundeten Streitgespräch.

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"Es muss auch in einer Koalition möglich sein, dass man inhaltlich anderer Meinung ist, sich zusammenstreitet", sagt Amon. Niedermühlbichler sieht das ähnlich.

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Einig sind sich Niedermühlbichler und Amon darüber, dass Asylwerber gemeinnützige Arbeit verrichten sollen, die Diskussion über einen Stundenlohn halten sie für verfehlt.

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"Ich treffe außer Journalisten und Oppositionspolitikern niemanden, der gerne früher wählen möchte", sagt Werner Amon zur Diskussion über vorgezogene Neuwahlen.

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"Ich gebe zu, dass es für uns noch Platz gibt. Wir können derzeit nicht so viele Menschen ansprechen, wie es uns eigentlich zustehen würde", sagt Georg Niedermühlbichler.

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"Die Stunde eines Menschen ist mehr wert als 2,50 Euro. Auch mehr als fünf Euro", sagt Niedermühlbichler zu Amon.

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Am Ende war's lustig. Der SPÖ-Bundesgeschäftsführer und der ÖVP-Generalsekretär werden zwar keine Freunde, pflegen aber einen höflichen Umgang miteinander.

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STANDARD: Der Regierung gelingt es kaum, den Eindruck des Gemeinsamen zu vermitteln, da steht meist das Gegeneinander im Vordergrund. Geht das nicht besser?

Niedermühlbichler: Einerseits liegt es in der Natur der Sache, andererseits ist das auch das Interesse der Medienberichterstattung. Es gibt eben Punkte, wo wir unterschiedlicher Auffassung sind. Ich bin kein Anhänger davon, dass es keine unterschiedliche Meinung geben darf, das ist auch wichtig für das Profil der eigenen Partei.

Amon: Ich muss da auch an die Medien appellieren, nicht jeden inhaltlichen Konflikt in einer übertriebenen Aufgeregtheit immer gleich zu einem massiven Streit, zu einem Koalitionskrach hochzustilisieren. Es ist das Wesen eines pluralistischen Systems, dass man unterschiedliche Meinungen auch austrägt. Es muss auch in einer Koalition möglich sein, dass man inhaltlich anderer Meinung ist, sich zusammenstreitet, und am Ende gibt es hoffentlich einen Kompromiss. Weitergehen muss schon auch etwas, das ist klar. Aber ein bissl weniger Aufgeregtheit wäre angebracht.

STANDARD: Wer ist denn die bessere Volkspartei, wer hat die größere inhaltliche Breite? Werner Amon hat unlängst gesagt, die ÖVP ist für jene Menschen da, die in der Früh aufstehen und arbeiten gehen. Steht Ihre Klientel nicht auf und geht arbeiten?

Niedermühlbichler: Das tut sie selbstverständlich auch. Sowohl die SPÖ als auch die ÖVP haben eine gewisse Breite an Wählern, die wir ansprechen können, und es ist die Aufgabe unserer Parteien und unserer Vorsitzenden, die Interessen aller Österreicher zu vertreten. Aber ich gebe zu, dass es für uns noch Platz gibt. Wir können derzeit nicht so viele Menschen ansprechen, wie es uns eigentlich zustehen würde. Ich glaube, dass viel mehr Menschen bereit sind, SPÖ zu wählen, wenn man klarmacht, wofür wir stehen. Da haben wir einiges zu tun. Ich glaube, der ÖVP geht es nicht anders.

STANDARD: Für wen ist denn die ÖVP da, wie würden Sie Ihre Zielgruppe definieren?

Amon: Ich bleibe dabei: Für die, die in der Früh arbeiten gehen, etwas leisten wollen, für die, die mehr Netto vom Brutto haben wollen. Für die, die etwas unternehmen wollen und denen der Staat dabei im Wege steht. Für die, die mehr Eigenverantwortung wollen, für die, die sich Eigentum schaffen wollen, und die, die Eigentum haben. Das sind unsere Zielgruppen, für die wollen wir uns auf die Schienen werfen.

Niedermühlbichler: Unsere Definition von Leistung ist vielleicht ein bisschen eine andere. Jemand, der beim Billa Regale einschlichtet oder an der Kassa sitzt, bringt auch jeden Tag die Leistung und verdient aus meiner Sicht zu wenig. Die Leute, die jeden Tag arbeiten gehen, müssen mehr Einkommen haben. Wir dürfen aber auch niemanden zurücklassen, es müssen auch Menschen, denen es nicht so gut geht, die Schicksalsschläge erlitten haben, sozial abgesichert sein. Es kann jedem passieren, dass er seinen Job verliert, dass er krank wird, dass er andere Probleme hat. Das ist das Wesen einer Gemeinschaft und eines Staates, dass man auf diese Menschen auch schaut und ihnen die Möglichkeit der sozialen Abfederung gibt, und schaut, dass diese Menschen wieder in Beschäftigung kommen.

STANDARD: Ist die ÖVP nur für die Leistungsträger und die Hochleistungsträger da, oder haben Sie auch ein Herz für die Schwächeren?

Amon: Ich gehöre nicht zu denen, die vor der christlichen Soziallehre zurückschrecken, wenn man die vorgehalten bekommt, weil ich sie kenne. Die spricht ganz klar davon, dass Arbeit Teil der Sinnerfüllung des Lebens ist. Ein arbeitsloses Einkommen, Pension ausgenommen, wirkt auf Dauer, wenn man leisten könnte, entwürdigend.

STANDARD: Ist ein Stundenlohn von 2,50 Euro für Asylwerber obszön oder nicht?

Amon: Obszön ist es, wenn jemand, der sein Leben lang in ein System einbezahlt hat, ein Leben lang für diese Gesellschaft gearbeitet hat, gleich viel herausbekommt wie jemand, der noch nichts für diese Gesellschaft und dieses System geleistet hat. Man sitzt hier einem Irrtum auf, wenn man bei Asylwerbern die Position vertritt, dass sie einen Stundenlohn für gemeinnützige Arbeit im klassischen Sinn bekommen sollen. Es geht vielmehr darum, dass diese Menschen, die eine Grundversorgung bekommen, eine gemeinnützige Integrationstätigkeit übernehmen sollen, bei der sie als Anerkennung ein Taschengeld bekommen. Das ist mit dem regulären Arbeitsmarkt nicht vergleichbar.

STANDARD: Sind 2,50 Euro obszön?

Niedermühlbichler: In der Konferenz der Soziallandesräte hat man sich auf fünf Euro geeinigt. Man kann das, was jemand in einer Stunde leistet, aber nicht auf 2,50 oder fünf Euro reduzieren. Mir wäre lieber, gar keinen Stundenlohn festzulegen. Da sage ich schon, die Stunde eines Menschen ist mehr wert als 2,50 Euro. Auch mehr als fünf Euro. 2,50 Euro in der Stunde finde ich dann schon obszön, vor allem wenn es eigentlich darum geht, dass die Menschen, die in Österreich auf eine Asylentscheidung warten, einer sinnvoller Beschäftigung nachgehen können.

STANDARD: Und wenn ein Asylwerber nicht arbeiten will und mit der Grundversorgung zufrieden ist? Ist das für Sie auch in Ordnung?

Amon: Das muss man sich schon anschauen. Da er ein Asylwerber ist, kann er relativ schwer zu einer Tätigkeit verpflichtet werden. Das positive Beitragen zum Integrationsprozess ist aber etwas, was im Asylverfahren Berücksichtigung findet.

STANDARD: Wie schaut es mit anerkannten Flüchtlingen aus, die Mindestsicherung beziehen?

Amon: Da soll es einen Unterschied geben zwischen jenen, die schon länger ins System eingezahlt haben, und jenen, die frisch da sind. Das ist die Mindestsicherung light. Diese soll ergänzt werden um Tätigkeiten, die bezahlt werden, Stichwort Kombilohn. Das versteht auch jeder österreichische Arbeitnehmer: Wenn ein Flüchtling ordentlich arbeitet, soll er auch ordentlich bezahlt werden. Ein Problem wäre es, wenn Personen, die schon einmal für das System etwas geleistet haben, oder Mindestpensionisten gleich beurteilt werden wie jemand, der gerade seinen Asylstatus bekommen hat. Das wird nicht als gerecht empfunden. Deswegen treten wir für eine verminderte Mindestsicherung ein.

STANDARD: Können Sie da mit?

Niedermühlbichler: Jeder Flüchtling, der einen Asylstatus hat, ist gleichzusetzen mit anderen Menschen, die hier Arbeit suchen. Es muss gewährleistet sein, dass die Menschen von dem, was sie bekommen, auch leben können. Sonst gibt es ein Problem: Wenn sie sich keine Wohnung leisten können, lungern sie im Park herum, sie werden vielleicht betteln gehen, oder sie werden im schlimmsten Fall kriminell werden. Das wäre für die Gesellschaft das Schlechteste. So eine Situation will vielleicht die FPÖ, weil sie davon profitieren könnte. Aber das wollen wir nicht. Der Differenzierung zwischen jenen, die frisch gekommen sind, und jenen, die schon ins System eingezahlt haben, kann ich durchaus etwas abgewinnen. Das ist eine Frage des Gerechtigkeitsgefühls. Aber die Mindestsicherung noch einmal zu reduzieren, halte ich für keinen guten Vorschlag.

STANDARD: Die ÖVP möchte die Mindestsicherung für Flüchtlinge auf 560 Euro reduzieren. Kann man davon auch leben?

Niedermühlbichler: Aus meiner Sicht ist das nur ganz schwer möglich, das werden wir uns noch anschauen müssen. Aber wir sind nicht so weit voneinander entfernt, wenn man eine Deckelung macht und die Wohnkosten extra ausbezahlt.

Amon: Niemand, der nach Kollektivvertrag bezahlt wird, findet eine Berücksichtigung der Anzahl der Kinder. Deshalb braucht es eine Deckelung.

Niedermühlbichler: Der Deckel ist eine Möglichkeit, allerdings muss man sich anschauen, wie man die unterschiedlichen Wohnungskosten in den Ländern ausgleicht.

Amon: Es muss aber auch die Bereitschaft zum Spracherwerb geben. Wir müssen jenseits aller Romantik einen starken Staat installieren, der von jenen, die zugezogen sind, verlangt, dass sie sich einbringen, die Sprache lernen, unser Wertesystem und unseren Rechtsstaat akzeptieren. Das sind ganz wesentliche Punkte für ein gedeihliches Zusammenleben.

STANDARD: Kanzler Kern hat in Straßburg noch einmal die Bedenken zum Freihandelsabkommen Ceta vorgetragen. Hat sich die SPÖ mit ihrer Mitgliederbefragung und der Kampagne gegen Ceta nicht in eine Sackgasse manövriert, wenn jetzt absehbar ist, dass Österreich letztendlich doch zustimmen wird?

Niedermühlbichler: Wir sind mit einigen Punkten dieses Vertrags nicht einverstanden – im Übrigen im totalen Einklang mit der Landeshauptleutekonferenz: Es darf keine Schiedsgerichte geben, die Sozial- und Umweltstandards dürfen nicht abgesenkt werden.

STANDARD: Ist es tatsächlich denkbar, dass Österreich dem Ceta-Abkommen nicht zustimmt?

Niedermühlbichler: Natürlich ist das denkbar. Wenn sie unsere Unterschrift brauchen, werden wir auch verhandeln, das tun wir. Wir werden bewerten, ob das für uns ausreichend ist. Sollten wir zustimmen, werden wir das auch unseren Mitgliedern erklären, keine Frage, da werden wir auch einiges zu tun haben.

Amon: Ich halte Ceta für ein sehr gutes Freihandelsabkommen. Ein exportorientiertes Land wie Österreich ist da völlig auf dem falschen Dampfer, wenn wir glauben, uns ausklinken zu können.

STANDARD: Die Kritikpunkte, die die SPÖ vorbringt, können Sie nicht nachvollziehen?

Amon: Nein, die sind eigentlich geklärt. Wir haben über 60 Freihandelsabkommen mit Schiedsgerichten, bei Ceta haben wir sogar noch ein besseres System. Ich weiß nicht, warum ausgerechnet bei Kanada so ein Widerstand aufgebaut wird. Es ist undenkbar, dass Österreich da nicht dabei ist. Man muss auch sagen, dass der inszenierte Blitzbesuch von Kanzler Kern nichts mehr verändert hat. Die gemeinsame Erklärung wurde ja schon länger vorbereitet.

STANDARD: Wann wird gewählt?

Niedermühlbichler: Unser Ziel muss sein, die Legislaturperiode fertig zu machen. Wir werden das nächste Jahr noch dringend brauchen, um Ergebnisse zu erzielen.

Amon: Ich treffe außer Journalisten und Oppositionspolitikern niemanden, der gerne früher wählen möchte.

STANDARD: Es geht nicht ums Wollen, es geht darum, ob die Regierung so lange durchhält. Bei Ihnen wird sich wahrscheinlich noch die Frage nach dem richtigen Spitzenkandidaten stellen.

Amon: Warum soll sich die bei uns stellen? Stellen Sie sich vor, der Herr Hofer gewinnt die Bundespräsidentenwahl nicht, dann stellt sich die Frage bei der FPÖ. Bei der SPÖ hat Minister Doskozil exzellente Werte. Möglicherweise kommt noch die SPÖ auf die Idee, einen anderen Spitzenkandidaten zu nominieren. (Michael Völker, 8.10.2016)