Kunstgeschichte und gesellschaftspolitische Relevanz: "Wo stehst du mit deiner Kunst, Kollege?", fragt der deutsche Maler Jörg Immendorff (1945-2007) sich selbst und die Betrachter.

Foto: Nachlass Jörg Immendorf, courtesy Galerie Michael Werner

Die New Yorkerin Nicole Eisenman setzt sich mit der Frage "How's My Painting" der Kritik aus. Ihr Gemälde "Bloody Orifices" ist im Ausstellungsbereich "Exzentrische Figuration".

Foto: Nicole Eisenman

Wien – Spektakel, Gefühl und Gemeinschaft – mit diesen Begriffen lässt sich die Ausstellung Painting 2.0: Malerei im Informationszeitalter des Mumok vielleicht am besten beschreiben. Immer wieder wurde die Malerei seit den 1960er-Jahren für tot erklärt, ebenso oft hat sie sich neu erfunden.

Cy Twombly, Robert Rauschenberg, Maria Lassnig, Jean-Michel Basquiat, Frank Stella, Niki de Saint Phalle, Christopher Wool, Mike Kelley, Rosemarie Trockel: Um die internationalen Stars der Malerei lässt das Kuratorenteam – Achim Hochdörfer (Direktor der Sammlung Brandhorst) Manuela Ammer (Mumok) und David Joselit (Professor an der City University of New York) – auf vier Stockwerken unterschiedlichste künstlerische Positionen und Stile aus sechs Jahrzehnten aufeinandertreffen. Die Ausstellung mit 230 Werken von mehr als hundert Künstlerinnen und Künstlern – darunter Leihgaben aus dem New Yorker Museum of Modern Art, dem Whitney und dem Andy Warhol Museum sowie der Pinakothek der Moderne – ist eine glückhafte Kooperation mit dem deutschen Museum Brandhorst.

Im ersten Teil der Schau geht es um "Gesten und Spektakel": ein geradezu idealer Kontext etwa für den deutschen Tabubrecher und Kunstrabauken Martin Kippenberger (1953-1967). Was ist künstlerische Handschrift, was Autorenschaft, wie sehr unterliegt Kunst kommerziellen Interessen?

Verlorener Glanz

Eine Antwort auf diese Fragen ist Kippenbergers Container-Installation Heavy Burschi: Ende der 1980er-Jahre ließ er einen Assistenten Collagen aus seinem Bilderfundus machen und fotografierte sie, ehe er sie zerstörte und neu ordnete.

Auch sein deutscher Kollege Jörg Immendorff (1945-2007) geht die Frage, was denn Kunst sei, radikal an: Ein Maler – Immendorff selbst – sitzt an der Staffelei, als ein politischer Demonstrant die Ateliertür aufreißt und schreit: Wo stehst du mit deiner Kunst, Kollege?

Mit der Person hinter der Kunst und ihrer Vermarktung setzt sich Isa Genzken mit ihrer Collage Wind II (Michael Jackson) auseinander. Auf Hochglanzfotos thront Michael Jackson über einem Altarbild. Sie sind mit Glitterfolie beklebt und mit Farbe beschmiert. Lack und Glanz blättern jedoch ab.

Ob es bloßer Zufall ist, dass Genzkens Bild im Todesjahr Michael Jacksons, 2009, entstanden ist, bleibt Spekulation. Eine Assoziation zu der medial inszenierten Beerdigung des Sängers ist aber vermutlich nicht ganz falsch.

Zeichen der Liebe

Unter dem Titel "Exzentrische Figuration" wird Identität, Körperlichkeit und Gefühl verhandelt. Mit bunten Bändern umwickelte Leitern, vereinfacht nachgemalte Hochzeitsporträts aus der Renaissance, herabhängende Rosen: Die Installation Signs of Love (1976) der US-Amerikanerin Ree Morton (1936-1977) zeigt romantisch-kitschige Klischees von Liebe. Begriffe wie "Atmospheres" oder "Gestures" sind an die Wand gemalt, Mortons Installation lässt sich wie eine Erzählung lesen, die mit einem schwarzen Punkt an der Wand endet.

Ein Gegenpol dazu ist Nicole Eisenmans Bild Bloody Orifices. Mit der über ein ziemlich hässliches Männer-Porträt gepinselten Frage "How's my painting?" setzt sich die 51-jährige New Yorkerin offensiv der Kritik aus. Das in satten Farben gemalte, karnevaleske Frauenporträt Jeanine (1973) des Chicagoer Künstlers Ed Paschke (1939-2004) verweist auch auf seine Maler-Heroen wie Pablo Picasso oder Paul Gauguin.

Unter dem Titel "Soziale Netzwerke" sind Arbeiten etwa der Andy Warhol Factory oder des New Yorker Künstlerkollektivs A.I.R. Gallery zu sehen. Die Raumgestaltung weist in die Computerwelt: Die in den Raum ragenden, einander überlappenden Wände erinnern an mehrere geöffnete Fenster am Bildschirm.

Eindrucksvolles Schlussbild ist das mehr als drei mal zweieinhalb Meter große Gemälde Heavy Harvest (2014) des 1964 in München geborenen und in New York lebenden Künstlers Thomas Eggerer. Es zeigt Feldarbeiter, die gemeinsam und doch jeder für sich arbeiten. Die rechteckigen Windschutzscheiben der Traktoren und die Getreidesäcke lassen an kleine Bildschirme denken, die auf dem ansonsten dunkel gehaltenen Bild Licht auszustrahlen scheinen. (Katharina Stöger, 8.10.2016)