Jung, dynamisch und trotzdem oft erfolglos: Bei WG-Castings sind ein freundliches Auftreten und Offenheit gefragt. Das Gespräch muss dennoch nicht zum Einzug führen, denn der nächste Bewerber klopft gleich an, und vielleicht passt der ja noch besser in die Gemeinschaft.

Wien – Davids* Wohnung ist ziemlich dunkel, sein Gemüt dafür umso sonniger. Der Biologiestudent mit den schwarzen Locken öffnet mir die Tür seiner WG in Wien-Alsergrund. Erdgeschoß, knapp hundert Quadratmeter. David hat zwei Mitbewohner, doch jetzt will er raus. "Ganz ehrlich, mir ist es zu dunkel hier drin."

Ich bin überrascht von so viel Direktheit. Immerhin besuche ich ihn als Bewerber für sein WG-Zimmer. Ein Selbstversuch, um zu sehen, ob die Lage am Wiener WG-Markt wirklich so finster ist wie Davids Zimmer.

Was für ein Typ bist du?

Er kann sich seine Ehrlichkeit leisten. "Für mich war's schwer, noch ein Zimmer zu finden", sagt David. "Ist jetzt alles schon abgegrast. Aber meins loszukriegen, wird gar kein Problem sein." Im Vorzimmer lehnt das gestohlene Schild einer Baustelle, auf der Toilette sind die leeren Klopapierrollen kunstvoll zu einer Pyramide getürmt. Eine etwas chaotische WG, David und ich verstehen uns. Aber David wird bei diesem WG-Casting nicht entscheiden.

Später spreche ich mit Simon. Er wird in der Wohnung bleiben und mit seiner Mitbewohnerin bestimmen, wer das Zimmer bekommt. Das Gespräch fühlt sich wie eine Prüfung an. Was für ein Typ bist du? Gehst du viel auf Partys, oder bist du eher ruhig? Stehst du am Ende deines Studiums oder am Anfang? Hast du schon einmal in einer WG gelebt? Wie lange? Nicht alle meiner Antworten stellen ihn zufrieden.

Soziale Bonität wird geprüft

Der Engpass in Wien an schönen und irgendwie noch leistbaren WG-Zimmern ist nicht so drastisch wie in manchen deutschen Städten. Doch auch hier dürften sogenannte WG-Castings inzwischen die Regel sein. Gesucht wird nicht mehr ein passabler, sondern ein optimaler Mitbewohner.

Gecastet wird meist in Einzelgesprächen. Einfach für die Suchenden ist so ein Termin nicht. Wer sich für einen Job bewirbt, rasiert sich und putzt seine Schuhe. Beim WG-Casting aber könnte genau das schlecht ankommen. WG-Jurys sind schwer berechenbar. Gesucht ist ein fragiles Gut: Sympathie. Die WG-Mieter, die ein Zimmer zu vergeben haben, prüfen ihre Bewerber auf soziale Bonität.

Suchende fühlen sich manchmal gemustert

Mein zweiter Termin führt mich in eine Dachgeschoßwohnung in Hietzing. Ein beliebter Bezirk, aber nicht unbedingt bei Studenten. Die Wohnung ist hell und sauber, hat eine riesige Terrasse. Laura und Fabian suchen schon länger nach dem oder der Richtigen für das dritte Zimmer.

TU-Student Fabian erzählt, im Frühjahr sei er noch selbst gecastet worden. In einer Wohnung habe er sich richtig gemustert gefühlt, da habe die gleichaltrige Hauptmieterin auf einer Liste nach jeder Antwort ein Hakerl gemacht. Oder auch keines. Es sei eher ein Verhör gewesen.

Zwölf Anfragen, zwei Einladungen

Laura hat ihm schließlich Obdach gewährt. Ich habe nicht so viel Glück. Nach einem gut halbstündigen Gespräch sagt sie den vernichtenden Satz: "Wir sehen uns noch drei Tage lang Leute an und melden uns dann." Eine weitschweifige Art, Nein zu sagen.

Liegt es an mir, dass ich zwölf Anfragen verschicken muss, um zwei Besichtigungstermine und ein "Vielleicht" zu bekommen? Sieht man sich die Bewerbungszahlen an, dürfte es vielen ähnlich ergehen.

München: 60 Gesuche pro Zimmer

Das deutsche Portal wg-gesucht.de teilt auf STANDARD-Anfrage mit, bester Indikator für die Nachfrage sei die durchschnittliche Zahl der Bewerbungen pro Angebot. Von Jänner bis September verzeichnete wg-gesucht.de 28,24 Anfragen pro Wiener WG-Zimmer (im Vorjahr noch 23,53). Telefonische Kontakte sind dabei nicht einmal berücksichtigt. In Hamburg seien es im selben Zeitraum 37,46 gewesen, in München unfassbare 60,22 Anfragen. Im Durchschnitt, wohlgemerkt.

Dass die Lage sich verschärft, registriert man auch bei der SP-nahen Mietervereinigung. "Unter 450 Euro findet man in Wien fast keine WG-Zimmer mehr", beklagt Geschäftsführerin Alexandra Rezaei. Wie auch in Wohnungen würden viele Studenten allerdings mehr bezahlen, als sie gesetzlich müssten, und oft auch nicht von der Möglichkeit wissen, Rückforderungen nachträglich geltend zu machen. Beim WG-Casting könne man den Stimmungskiller Mietzins daher noch getrost aussparen. (Lukas Kapeller, 8.10.2016)