Hinter kleinen Pillen steckt komplexe Logistik.

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Wien – Medikamente so weit das Auge reicht. Auswerfautomaten spucken sie in schmale Kanäle. In roten und blauen Kunststoffboxen rattern sie leise über die Förderbänder, Hochregallager flankieren ihren kurvenreichen Weg. Das beschauliche Tempo täuscht. Zwanzig Minuten dauert es vom Auftragseingang bis zur Auslieferung einer Packung. In zwei Stunden sind sie in der Apotheke, im Notfall schneller. Nur eine von 1600 werde dabei zu einem Irrläufer, sagt Andreas Windischbauer. Die Fehlerquote liege bei 0,1 Prozent.

Windischbauer hat Österreichs Pharmagroßhandel seit Jahren fest in der Hand. Mit Herba Chemosan, die er führt, bedient der Präsident des Branchenverbands Phago fast die Hälfte des Marktes. Jedes vierte hierzulande ausgelieferte Medikament stammt aus dem Logistikzentrum des Konzerns am Rande Wiens. Pro Tag sind es eine halbe Million Packungen. 1,2 Millionen wickelt die gesamte Branche zeitgleich ab. Drei der sechs Anbieter mit ihren 26 Standorten dominieren 80 Prozent des Geschäfts.

Einfallstor

Quer durch der Wirtschaft verloren Großhändler an Bedeutung. Als Bindeglied zwischen Produzent und Händler verschwanden viele ganz, denn im Dienste höherer Margen liefert die Industrie zumeist lieber direkt. Im Pharmageschäft hingegen führen nur wenige Vertriebswege am Großhandel vorbei. Jene für sehr kostspielige Arzneien etwa, auf die Hersteller Monopole haben. Oder der Onlinevertrieb, den die breite Mehrheit der Apotheker missmutig beäugt. Gilt er für sie doch als Einfallstor für gefälschte Präparate.

Auch Windischbauer ist kein Freund des Internetgeschäfts. Wobei er diesem vor allem die Rentabilität abspricht. Nichts sei teurer und stärker reglementiert, als Medikamente vor die Tür der Patienten zu liefern, sagt er. "Die Spannen sind gering. Es ist ein blutiges, wenig profitables Geschäft."

Kein Einkauf auf Vorrat

Vorteile für Kunden sieht er nur bedingt: Abgesehen davon, dass Arzneimittel selten auf Vorrat gekauft würden, wäre die Kostenersparnis unterm Strich klein. Der Phago-Präsident rät zum Blick in die USA. Dort liege der Onlineanteil im Pharmageschäft derzeit bei nicht mehr als zehn, 15 Prozent.

Wie die Drogeriekette DM, die zum Ärger der Apotheken emsig an der Freigabe rezeptfreier Medikamente für den Einzelhandel in Österreich arbeitet, die komplexe Logistik in in den Griff bekommen will, ist für Windischbauer, wie er sagt, ein Rätsel. Klar ist so viel: Der Konzern wird sich, sofern er vor der Justiz recht bekommt, direkt von der Industrie beliefern lassen.

Österreichs Arzneimittelmarkt ist mehr als 3,3 Milliarden Euro schwer. Zwei Milliarden Euro fallen für Apotheken ab, eine Milliarde für Krankenhäuser. Das Volumen nimmt zu, primär aufgrund neuer, teurer Präparate – wie auch Ausgaben der Krankenkassen steigen. Anders als die Pharmaindustrie profitiere der Großhandel davon nicht, versichert Windischbauer. So liefere man Millionen Packungen aus, für die jeweils weniger als zehn Cent der Logistik zukommen. "Unsere Spannen sinken, obwohl der Markt wächst."

Personalschwund

Nicht wirklich rechnen würden sich etwa Medikamente, die selten bestellt würden. Kommissionierapparate zahlen sich dafür nicht aus, im Lager ist daher Handarbeit gefragt. Herba Chemosan zählte in Österreich Anfang der 1990er-Jahre 1300 Mitarbeiter. Im Zuge der Automatisierung sank ihre Zahl auf 670, wovon nun 410 in der Logistik tätig sind. 180 von ihnen arbeiten in Simmering. Die Kunden sind neben Apothekern Pharmaunternehmen, die aufgrund hoher Auflagen von eigenen Logistikniederlassungen absehen.

Die Auflagen seien zum Teil absurd, ärgert sich Windischbauer. So wolle die EU ab 2019 Fälschungen stärker zu Leibe rücken. Was dazu führe, dass jede einzelne Packung identifizierbar und verifizierbar sein müsse. "In der Logistik bedeutet das einen finanziellen Aufwand in Millionenhöhe. Hier wird auf Feldmäuse geschossen."

Profit durch Preisdifferenz

Ein Grund für die neue Richtlinie findet sich, anderen Pharmaexperten zufolge, im Versuch, damit den in Europa zwar legalen, jedoch unerwünschten Parallelhandel zu erschweren. Zur Erklärung: Viele Medikamente sind kontingentiert, ihre Preise variieren von Land zu Land. Das bringt Importeure auf den Plan, die sie im großen Stil aufkaufen, in andere Länder verschieben und aus der Preisdifferenz Profit schlagen. Für Österreich vorgesehene Arzneimittel landen so gern in Deutschland, wo mit ihnen mehr zu verdienen ist.

Großhändler wie Herba Chemosan mischten dabei kräftig mit und provozierten so Engpässe in Österreich, klagen Apotheker und sprechen von einem Unwesen. Auch die Apothekerkammer sieht dieses Thema "mit großer Skepsis". Zumal Parallelimport das Risiko erhöhe, dass Fälschungen in legale Lieferketten gelangten.

"Vollversorgung ist das Credo. Was darüber hinausgeht, unterliegt dem Spiel der freien Kräfte. Wir haben in Österreich deswegen sicher keinen Engpass", ist hingegen Windischbauer überzeugt. Dass Lieferprobleme temporär zunehmen, führt er auf die wachsende Konzentration in der Industrie und auf Fehleinschätzungen des Bedarfs zurück. Im Übrigen würde sich der Parallelimport aufhören, meint er, wenn Produzenten ihre Preise in Europa angleichen. (Verena Kainrath, 7.10.2016)