Noch ein Buch lesen? Noch eine Mail schreiben? Große Aufgaben erzeugen oft große Unlust. Der Trend der Zeit heißt "Prokrastination", was so viel heißt wie "Aufschieberei".

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Zwischenziele können helfen, große Ziele zu erreichen.

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Katzenvideos sollen laut Indiana University die Energie zumindest kurzfristig steigern. Die Autorin hat es für diesen Artikel ausprobiert – dafür aber nicht mehr als die empfohlenen fünf Minuten verwendet.

Dem Großen Deutschland

Ein indischer Beamter, der vom Dienst suspendiert wurde, weil er 24 Tage lang nicht im Büro erschien, machte Anfang des Jahres Schlagzeilen. Der Grund dafür könnte Golf gewesen sein, der Sport ist äußerst beliebt unter indischen Büroarbeitern.

Was Menschen tun, wenn sie sich im Büro vor der Arbeit drücken, hat der schwedische Soziologe Roland Paulsen erforscht. Die Ergebnisse hat "Spiegel Online" veröffentlicht: Die meisten lenken sich demnach wenig überraschend mit Facebook ab, darauf folgen die Extrapause und der Tratsch mit Kollegen.

Interessant ist aber auch die Frage, wie es überhaupt dazu kommt, dass wir uns vor der Arbeit drücken. Roman Braun, Lebenscoach und Mentaltrainer, macht für "Prokrastination", (das Aufschieben anstehender Aufgaben) vor allem zwei Gründe aus. "Bei 80 Prozent der Menschen liegt die Ursache ganz einfach an mangelnder intrinsischer Motivation. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Schule: Aufgaben werden von anderen gegeben, von Eltern überschätzt, und die Motivation für die Erledigung kommt nicht aus eigenem Antrieb des Schülers oder der Schülerin."

Unlust und Überforderung

Doch auch Hochmotivierte erleben Prokrastination als Problem. "Der Grund dafür ist häufig Selbstüberforderung, die jahrelang gelernt wurde", sagt Braun. "Das beginnt oftmals im Kleinkindalter." Ein dreijähriges Kind könne beispielsweise meist wenig mit dem Auftrag anfangen, es solle sein Kinderzimmer aufräumen. Eine einfache, konkrete Aufgabe, wie zum Beispiel die Aufforderung, das Spielzeugauto ins Regal zu räumen, könnte es hingegen ohne Überforderung bewältigen. "Von klein auf werden in vielen Fällen viel zu hohe Ansprüche an uns gestellt, was dazu führt, dass auch wir viel zu hohe Anforderungen an uns stellen", sagt Braun. Um diese Überforderung zu umgehen, trainiere man sich verschiedene Strategien an – eine davon ist eben Aufschieben.

Was helfen kann, das Motivationstief zu überwinden:

• Nicht übertrieben viel Aufwand betreiben

Bei den meisten Aufgaben nimmt man sich vor, sein Bestes zu geben. Nicht ideal, sagt Mentalcoach Braun. Denn dieser Anspruch verursache zu hohe Erwartungen an einen selbst. Oft seien die Aufgaben zudem gar nicht wichtig genug, um dafür alle Energie zu verwenden. Der gute Rat: der Aufgabe einen Analyseprozess vorschalten, in dem man evaluiert, welche Ressourcen wirklich gebraucht werden. Anleiten könnten einen hierbei Fragen wie: Wie wichtig ist die Aufgabe? Wie viel Vorbereitung ist nötig? Bedenken solle man, dass 80 Prozent der Ergebnisse oft schon mit nur 20 Prozent des Gesamtaufwands erreicht werden können.

• Aufgaben teilen

Zudem überfordern große Aufgaben schnell und fördern die Tendenz zum Aufschieben. Eine Strategie dagegen ist "Chunking": die Zerlegung eines großen Ziels in viele kleine Teilaufgaben, eventuell in einem Projektplan festgehalten. Das helfe, den Überblick zu behalten, sagt Braun.

• Sich Zwischenziele setzen

Als weitere Technik nennt Trainer Braun das sogenannte "Timeline-Coaching": "Erstellen Sie gedanklich eine Zeitlinie Ihres Lebens und schaffen Sie Lebensträume. Was ist das Ziel am Ende der Linie? Am Beispiel des Studierens wäre es ein erfülltes Berufsleben." Dieses Ziel gelte es, sich als großes Bild lebhaft und in Farben vorzustellen. Danach solle man sich Zwischenziele setzen, über die man dort hingelangt. Dazu zählen beispielsweise Prüfungen.

Sich Zwischenziele zu setzen könne auch insofern ermutigen, als dass man nicht gleich aus der Fassung gerät, wenn man eines nicht erreicht – schließlich war das nur eine Station auf dem Weg zum großen Ziel.

• Sich Zeit für "Glücklichmacher" nehmen

Ist man glücklich, geht alles leichter von der Hand. Das ist nicht nur ein Bauchgefühl, sondern nachweislich belegt. Wer mehr Schwung für eine herausfordernde Aufgabe braucht, solle sich den sogenannten "Happyness-Advantage" zunutze machen, sagt Braun. Das kann heißen, sich fünf Minuten pro Tag für "Glücklichmacher" Zeit zu nehmen.

Solche Glücklichmacher seien beispielsweise Katzenvideos, sagt Braun. So legt etwa eine Studie der Indiana University nahe, dass diese das Wohlbefinden steigern – und die Leistungsfähigkeit. Die Testpersonen gaben nach dem Ansehen der Videos an, dass sie sich glücklicher und energiegeladener fühlen. Aber Achtung: Die Auszeit sollte auch wirklich auf fünf Minuten beschränkt bleiben.

• Langsam an Aufgaben herantasten

Ist die Aufgabe eine besonders unangenehme – und der Start besonders schwer –, empfiehlt Coach Braun die "Distributed Practise": Die Aufgabe wird dabei in täglichen kleinen Intervallen gestartet, die wenige Minuten Beschäftigung mit dem Thema nicht überschreiten. Das könnte beispielsweise so aussehen: Am ersten Tag legt man ein Word-Dokument an und benennt es, am zweiten verfasst man eine erste Überschrift und so weiter. Das Ziel dabei ist, sich schrittweise an die Aufgabe zu gewöhnen und so zu verhindern, dass man sie komplett aufschiebt.

• Aufgabe neu bewerten

Für mehr intrinsische Motivation sorge auch, sein Rollenbild an die unangenehme Aufgabe anzunähern, sagt Braun (schließlich weiß man, dass jene Menschen motivierter sind, die finden, dass ihre Tätigkeit zu ihrer Identität passt – wieso also nicht einmal umgekehrt?). Wer sich mit etwas Humor sage, "Ich bin eine Textmaschine", werde schnell vom "Wochenberichtmuffel" zum "Berichte-Shakespeare".

• Mit Vorbildern sprechen

Ein weiterer Trick, Druck abzubauen und dadurch die Eigenmotivation zu steigern, ist laut Braun, das Gespräch mit Peers – frei übersetzt: Gleichrangigen – zu suchen, die ihr Ziel schon erreicht haben. "Smalltalk über das Thema kann unterstützen und macht darüber hinaus klar: 'Wenn der das schafft, schaffe ich das auch.'"

• Seine Aufmerksamkeit trainieren

Um der wichtigen Aufgabe und dem damit verbundenen unangenehmen Gefühl zu entgehen, wird oft alles ferngehalten, was daran erinnern könnte. Nicht sehr hilfreich. Braun empfiehlt, eine "Hinzu"-Mentalität zu entwickeln. Das könne etwa durch Achtsamkeitstraining gelingen. Zehn Minuten Meditation am Morgen oder vor der Aufgabe können helfen, die Aufmerksamkeit zu steigern.

Eine einfachere Methode: vier Sekunden lang einatmen, sieben Sekunden lang die Luft anhalten und während acht Schlägen ausatmen. Der angenehme Nebeneffekt: Nicht nur ein "Hinzu"-Charakter wird geübt, sondern man kann für Minuten den Stress und so manche Überforderung abschalten und gelassener an Aufgaben herangehen. (lib, 7.10.2016)