FWF-Präsident Klement Tockner ist zuversichtlich, dass die politischen Entscheidungsträger den Mut haben, die nötigen Ressourcen für die Wissenschaft zur Verfügung zu stellen.

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STANDARD: Sie waren lange in der Schweiz und in Deutschland. Beide Länder gelten als deutlich wissenschaftsfreundlicher als Österreich. Haben Sie eine Erklärung für diese in Umfragen nachgewiesene Haltung?

Tockner: Die Neugierde der Menschen, das Interesse an Wissenschaft, ist in meiner Wahrnehmung hierzulande genauso groß wie in der Schweiz und in Deutschland. Der Unterschied ist womöglich folgender: In beiden Ländern würde niemand den Wert der erkenntnisgetriebenen Forschung infrage stellen, Wissenschaft und Forschung sind ein Teil der Kultur dieser Länder. In Österreich ist man vielleicht noch nicht so weit. Wahrscheinlich müssen wir noch mehr dicke Bretter bohren, als das bisher geschah. Und auch Geschichten erzählen, die zeigen, warum Wissenschaft Teil der Kultur ist. Ob es dabei um die Grabungen in Ephesos geht oder um die Quantenphysik in Innsbruck und Wien: Hinter allen Publikationen in Fachmagazinen stehen solche Geschichten. Wir dürfen auf gar keinen Fall resignieren, sondern müssen noch besser das Faszinierende an der Wissenschaft vermitteln.

STANDARD: Die Geschichten werden ja erzählt. Gibt es vielleicht zu wenige Medien, deren Herausgeber sich für Wissenschaft und Forschung interessieren?

Tockner: Ich will das gar nicht auf traditionelle Medien reduzieren. Es gibt viel mehr Möglichkeiten, um die Öffentlichkeit an Wissenschaft und Forschung Anteil nehmen zu lassen, etwa Citizen-Science. Es gibt mittlerweile einige exzellente Beispiele in diesem Bereich. Österreich hat eine eigene Citizen-Science-Plattform mit zahlreichen Initiativen. Ich bin optimistisch, dass damit mehr Partizipation als bisher gelingen wird. Wir denken im FWF aber auch über Programme nach, in denen die Gesellschaft aktiv eingebunden wird.

STANDARD: Wie könnte ein solches Programm aussehen?

Tockner: Nennen wir es zum Beispiel das "1000 Ideas Programme": ein Programm, das für großartige Ideen aller Art offen ist, für Wissenschaft, die neue, vielleicht verrückte Gedanken verfolgt und Dinge experimentell einfach ausprobiert. Es ist somit eine Form von "Blue Sky Research" in der Start-up-Phase. Die Gesellschaft könnte bei der Auswahl eingebunden werden und die Fortschritte verfolgen. Wenn aus der Idee etwas wird, ist es ein Erfolg, dann könnte im besten Fall ein FWF-Projektförderantrag folgen. Wenn nichts daraus wird, dann sollte das auch kein Problem sein. Auch im Scheitern können Erkenntnis und somit Fortschritt entstehen.

STANDARD: Ist die Forschungsförderung insgesamt zu risikoavers?

Tockner: Wissenschaft wird derzeit zunehmend als eine Art Consultingunternehmen verstanden. Man fragt nach dem kurzfristigen ökonomischen Nutzen. Und nach schnellen Lösungen. Wenn eine Seuche wie Ebola ausbricht, dann boomt die Ebolaforschung, nach einem Tsunami forciert man die Tsunamiforschung. Das ist natürlich auch wichtig, aber es geht damit sehr viel kreatives Potenzial verloren, das essenziell ist, um die Gesellschaft langfristig für die Lösung von Problemen fit zu machen.

STANDARD: Wie muss Wissenschaft denn Ihrer Meinung nach sein?

Tockner: Wissenschaft muss auch unbequem sein, auf Themen aufmerksam machen, die noch nicht Teil des öffentlichen Diskurses sind. Es geht um die Bewältigung von Herausforderungen, denen wir uns in zehn bis zwanzig Jahren stellen müssen und von denen wir oft noch nicht einmal etwas ahnen. Nehmen wir als Beispiel den Rückgang der biologischen Vielfalt – er ist irreversibel. Wie wirkt sich ein möglicher Verlust an Arten von zehn, 20 oder 50 Prozent auf unser Leben und Überleben aus? Das können wir derzeit noch nicht einmal abschätzen.

STANDARD: Der FWF braucht freilich nicht nur neue Ideen und unbequeme Wissenschafter, sondern vor allem auch mehr Geld. Wie viel darf es denn sein?

Tockner: Wir wollen nicht nur nach mehr Geld rufen, sondern diese Forderung mit den nötigen Argumenten und Inhalten untermauern. Es braucht ein neues Narrativ, eine noch deutlichere Erklärung, was mit den Mitteln gemacht werden soll. Eine Anhebung der Mittel ist aber unumgänglich. Die fordern wir ja nicht für uns, sondern für die Wissenschafter und Wissenschafterinnen. Der FWF ist nur eine Art Treuhänder, der nach Exzellenzkriterien Mittel vergibt. Genauer gesagt: Uns fehlen etwa 60 Millionen Euro pro Jahr, um allein jene Projekte, die sehr gut beurteilt werden, auch fördern zu können. Das entspricht ungefähr 1.400 in FWF-Projekten beschäftigten Personen, hauptsächlich Nachwuchswissenschafter, die somit nicht angestellt werden können.

STANDARD: Der FWF kann schon länger keine Overheads zahlen.

Tockner: Die Overheads sind wichtig, um die Institutionen, an denen die Forschung betrieben wird, zusätzlich zu stärken, denn FWF-Projekte kosten Forschungseinrichtungen Geld – zum Beispiel, wenn sie mit teuren Geräten durchgeführt werden müssen. Bis 2015 konnte der FWF über Zusatzmittel seitens des Wissenschaftsministeriums Overheads auszahlen. Nun kommen die Gelder als sogenannte Beanreizung aus dem Hochschulraum-Strukturmitteltopf direkt vom Ministerium – und fließen ausschließlich an die Universitäten, nicht an außeruniversitäre Einrichtungen. Ich glaube, dass die Overheads – mindestens 25 Prozent – aus einer Hand vergeben werden müssten. Das "1000 Ideas Programme" wäre eine Idee, die "on top" finanziert werden müsste, nicht mit den bestehenden Budgetmitteln.

STANDARD: Mehr Geld für den FWF: Diese Forderung ist nicht neu. Was macht Sie zuversichtlich, dass es diesmal klappt?

Tockner: Wie gesagt: Ich versuche, die Forderung mit positiven Inhalten zu füllen. Und bin guter Dinge. Es gibt Studien – zum Beispiel von der Universität Kiel –, die zeigen, dass der Wohlstand eines Landes von einer florierenden Grundlagenforschung nachhaltig profitiert. Ich bin überzeugt, dass die Entscheidungsträger das genauso sehen und den Willen und den Mut haben, um dringend nötige Ressourcen für die Wissenschaft zur Verfügung zu stellen.

STANDARD: Kann man anhand eines Beispiels sagen, was mit mehr Ressourcen und Mitteln möglich wäre?

Tockner: In Österreich gibt es zahlreiche Talente, die diese Fördermittel für großartige Projekte einsetzen können. Es benötigt aber bessere Rahmenbedingungen: Vergleichen wir zum Beispiel die Universität Heidelberg mit der Universität Graz. Beide haben etwa 30.000 Studierende. Graz hat 184 Professuren, Heidelberg – ohne Medizin – 300. Die Universität Heidelberg wirbt jährlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft 90 Millionen Euro Fördermittel ein, in Graz sind es nur 14 Millionen Euro, die man über den FWF lukriert. Natürlich nicht, weil die Forscher und Forscherinnen der Uni Graz schlechter sind, sondern es gibt hierzulande einfach zu wenige Mittel, die kompetitiv vergeben werden können. Die deutsche Hochschule ist im Times Higher Education Ranking in der Nähe der Universität Tokio zu finden, die steirische ist ungefähr so gerankt wie die Uni Nowosibirsk. Das ist keine schlechte Uni, Graz ist ebenfalls eine gute Uni, aber die Rahmenbedingungen könnten deutlich besser sein. Dann wären auch die langfristigen Erfolge der Universität weit besser. (Peter Illetschko, 7.10.2016)

Klement Tockner, geboren 1962 in Schöder in der Steiermark, studierte Zoologie und Botanik an der Universität Wien. Tockner leitete zehn Jahre lang eine Forschungsgruppe am schweizerischen Wasserforschungszentrum EAWAG. 2007 wurde er Direktor des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin sowie Professor für Aquatische Ökologie an der Freien Universität Berlin. Seit 1. September dieses Jahres ist er Präsident des Wissenschaftsfonds FWF.