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Sie selbst gilt nicht als EU-Gegnerin. Als Premierministerin muss Theresa May die Brexit-Entscheidung nun umsetzen.

Foto: Reuters/Melville

Die britische Premierministerin Theresa May interpretiert das Brexit-Votum nicht nur als Absage an die EU, sondern auch als innenpolitisches Signal zum Kurswechsel. Neben gelockerter fiskalischer Disziplin versprach die Regierungschefin am Mittwoch in ihrer Rede zum Abschluss des konservativen Parteitags in Birmingham mehr staatliche Investitionen und Entscheidungen zugunsten der "patriotisch denkenden, pflichtbewussten Arbeiterschicht".

Ihre Regierung werde der Einwanderung ungelernter EU-Bürger ein Ende machen. Die Entscheidung zum Austritt aus der Union stelle "eine stille Revolution" dar, sagte May: "Die Menschen wollen nicht mehr ignoriert werden. Das ist ein Wendepunkt für unser Land."

Zeitplan

Die Regierungschefin wiederholte ihren Brexit-Zeitplan: Die Insel werde bis spätestens Ende März Artikel 50 des Lissabon-Vertrags in Kraft setzen, der den Austritt binnen zwei Jahren vorsieht. Am Ende des Prozesses werde das Land "ein völlig unabhängiger, souveräner Staat sein." May zielt offenbar auf den sogenannten "harten" Brexit ab, also den kompletten Rückzug Großbritanniens nicht nur vom Brüsseler Verhandlungstisch, sondern auch aus dem Binnenmarkt. Daraufhin geriet zu Wochenbeginn das Pfund ins Taumeln, rutschte zum Euro ab und erreichte im Vergleich zum Dollar ein 31-Jahres-Tief.

In ihrer knapp einstündigen Ansprache unternahm die Politikerin den Versuch, ihre "Vision für Britannien nach dem Brexit" vorzustellen. Ziel sei "die neue Mitte", gründend auf Werten wie Fairness und Chancengleichheit. Wiederholt betonte die seit knapp drei Monaten amtierende Premierministerin, die "normale Arbeiterschicht" stehe im Mittelpunkt ihrer Politik. Jüngsten Erhebungen zufolge rechnen sich rund 60 Prozent der Briten der Working Class zu – neben dem häufig keineswegs arbeitenden Prekariat und Facharbeitern auch Angestellte und viele Selbstständige.

Change

Mays Rede enthielt 29-mal das Wort "Veränderung" ("change") und betonte die Verantwortung des Staates. Damit zielte die konservative Parteivorsitzende erkennbar vor allem auf jene traditionell Labour-unterstützenden Wählergruppen in den ärmeren Regionen des Landes ab, die für den EU-Austritt stimmten und sich von der Klassenkampfrhetorik und liberalen Einwanderungspolitik des Labour-Oppositionsführers Jeremy Corbyn nicht angesprochen fühlen.

Auf den Abgeordneten für den weitgehend gentrifizierten Nordlondoner Stadtteil Islington gemünzt, schimpfte die Regierungschefin auf Politiker, "die Patriotismus anrüchig und Sorgen über Immigration kleingeistig finden". Die Konservativen würden "Fremdenfeindlichkeit und Hass" schüren, konterte Corbyn.

Während die Labour-Opposition die Wunden eines monatelangen Seilziehens um den Parteivorsitz pflegt, dauert das Chaos bei der EU-feindlichen Ukip an. Am Mittwoch übernahm das Aushängeschild der Nationalpopulisten, Nigel Farage, wieder das Parteiruder, nachdem seine Nachfolgerin Diane James bereits nach 18 Tagen Amtszeit aufgegeben hatte. Sie fühlte sich vom Parteiapparat sowie von der Fraktion im europäischen Parlament nicht ausreichend unterstützt, sagte sie. Der EU-Abgeordnete Farage betonte, er werde Ukip diesmal nur interimistisch leiten. (Sebastian Borger aus Birmingham, 5.10.2016)