Dem Stückwerk Gesundheit in Betrieben fehlen Plan und Ressourcen.

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Familiäre Troubles, Niedergeschlagenheit oder Schlafstörungen werden von den meisten Arbeitgebern nicht als Gründe fürs Nichtarbeitenkönnen akzeptiert.

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Unerträgliche Kunden, Patienten und Schüler gehen europaweit und auch in Österreich den Arbeitenden am meisten an die Gesundheit. An zweiter Stelle liegt für die Österreicher der Zeitdruck, dann kommen anstrengende und schmerzhafte Körperhaltungen. So viel hat die Gesundheitsagentur der EU (Osha mit Sitz in Bilbao) erhoben. Plus: Psychische Erkrankungen nehmen zu und machen mittlerweile mehr als ein Drittel der Diagnosen für Arbeitsunfähigkeit oder Invaliditätspension aus. Aber Nichtmehrkönnen betrifft nicht nur die gut mit Klischees zugepflasterten "Älteren" – Burnout-Krankenstände rund um die 30 nehmen zu. Kann bald keiner mehr in einer Arbeitswelt, die einem früher oder später die Fratze hinhält, bis nichts mehr geht?

Diese bange Frage schwebt immer mit bei Diskursen und Exegesen zur neuen Arbeitswelt und zur großen Transformation. Und vor allem: Was soll wer tun?

Im Lehrbuch des jetzt hochmodernen betrieblichen Gesundheitsmanagements steht der notwendige Dreiklang: Individuen, Führungskräfte und Organisationskultur sollen gesundes Arbeiten ermöglichen. Bis schließlich alle heimgehen und sagen: Schatz, ich hab mich heute gesund gearbeitet. Und bis die volkswirtschaftliche Rendite dafür wieder stimmt und natürlich auch das Betriebsergebnis nicht mehr belastet ist von Fehlzeiten, Krankenständen, Ausfällen und Fehlern. Der Fokus liegt derzeit auf den psychischen Erkrankungen. Nicht nur weil sie ein Flächenphänomen geworden sind, sondern weil die Krankenstände aus diesen Ursachen auch viel länger dauern und die sogenannte Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit komplexer ist als Gips rauf und Gips runter.

Notwendigkeiten und Maßnahmen

Die EU-Gesundheitsagentur versucht es mit Appellen und Bewusstseinsbildung. Und bringt alle zwei Jahre Kampagnen dazu auf den Kontinent. Aktuell: "Gesunde Arbeitsplätze für jedes Alter". Dazu gibt es Infomaterial für Generationenmanagement und Maßnahmen, die über den gesetzlichen Arbeitsschutz hinausgehen. Mehr kann sie auch nicht tun. Hintergrund: enorm hohe (krankmachende) Jugendarbeitslosigkeit bei gleichzeitiger demografischer Herausforderung. Die durchschnittliche Lebenserwartung in der EU beträgt derzeit 80,6 Jahre, die Gruppe 65+ wird sich bis 2080 auf ein Drittel der Gesamtbevölkerung mehren, die 15- bis 54-Jährigen werden schon bis 2040 nur mehr knapp 46 Prozent der Europäer ausmachen. Und nebenbei: Nur 45 Prozent der jetzt 55- bis 64-Jährigen sind in Österreich noch im Arbeitsleben – die Arbeitslosigkeit 50+ nimmt weiter zu.

In Österreich fließen ein paar Millionen Euro in Beratungs- und Implementierungshilfe für eine gesündere Belegschaft. Das im Sozialministerium angesiedelte fit2work etwa oder die Sozialpartner-Plattform arbeitundalter gehören da dazu. Dass seit 2013 vorgeschrieben ist, die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz zu evaluieren, soll Betriebe anschubsen, ihre Unternehmenskulturen von ergonomischen Verbesserungen bis zu einem insgesamt humaneren Umgang miteinander zu bringen. Laut Arbeitsinspektorat wird auch evaluiert. Dann hört die Handhabe aber auf: Maßnahmen aufzuzwingen ist in dieser Gesetzesnovelle nicht vorgesehen.

Psychische Probleme tabu

Glaubt man einer Umfrage des Karriereportals karriere.at gemeinsam mit dem Online-Berater Instahelp, dann hat sich wenig verbessert – auch wenn man Eigeninteressen der Umfrager abziehen möchte: Dort geben nämlich Arbeitnehmer und ihre Chefs ganz klar zu Protokoll, dass Krankenstand wegen Knochenbruchs, Fieber oder Magen-Darm-Beschwerden okay ist. Familiäre Troubles, Niedergeschlagenheit oder Schlafstörungen dagegen werden von den allerwenigsten als Gründe fürs Nichtarbeitenkönnen akzeptiert.

Aber es kommt noch schlimmer: 49 Prozent sagen da, dass psychische Probleme in ihrer Firma tabu sind, also mit Scham, Stigma und "selber schuld" besetzt sind. Dieser Wert nimmt ab, je mehr strukturierte Gesundheitsprogramme in Unternehmen etabliert sind, je selbstverständlicher anonyme Beratung oder Coaching ist, je offener die Vorgesetzten über psychische Belastungen und Probleme reden. Laut dem Österreichischem Netzwerk Betriebliche Gesundheitsförderung, in dem Krankenkassen, Sozialversicherungen, Sozialpartner und der Fonds Gesundes Österreich sitzen, hat wohl die Hälfte der heimischen Unternehmen so etwas wie eine betriebliche Gesundheitsförderung, meist allerdings Einzelmaßnahmen. Nur sechs Prozent der Betriebe hätten eine Kultur, in der Gesundheitsförderung ein selbstverständlich etablierter Teil ist. Psychische Gesundheit rangiert noch auf den letzten Plätzen der innerbetrieblichen Angebotspalette.

Mehr als die Hälfte wünsche sich aber Hilfe vom Arbeitgeber. Insgesamt würde jedoch kaum jemand am Arbeitsplatz erzählen, dass er gerade durch die Hölle einer Trennung geht, Probleme mit den Kindern hat oder so erschöpft und verzagt ist, dass Arbeiten kaum mehr geht: Nur 14 Prozent würden ein solches Gespräch mit Kollegen führen, ergibt die Umfrage von karriere.at. Vor allem Frauen würden allerdings gerne Vorträge und Beratungsangebote zu Prävention und Heilung psychisch belastender Umstände erhalten.

Es geht ums Hinsehen

Unternehmen, die diesbezüglich als Vorzeigebetriebe gelten, etwa Zumtobel in Vorarlberg, Manner in Wien oder die Privatklinik Ragnitz in der Steiermark, argumentieren ihre Investitionen in das Thema gesundes Arbeiten für alle Generationen mit betriebswirtschaftlichem Kalkül und ihrer Attraktivität als Arbeitgeber. Ob sie damit den Werten der Verantwortung für Menschen folgen? Diese Frage stellt sich ihnen nicht, sagen sie. Es geht nur um das Wie und den "ständigen Verbesserungs- und Weiterentwicklungsprozess". Und es geht um das genaue Hinsehen: Welche Bedingungen des Produzierens, des Arbeitens lassen sich verbessern, welche nicht? Im Umgang miteinander ist da wohl alles möglich. Im industriellen Produktionsumfeld weniger.

Vielleicht ist die fortschreitende Roboterisierung da aber wirklich eine Chance. Und die Studien der Gartner Group mit Microsoft treffen zu, denen zufolge "mutige" Digitalisierung und Automatisierung mehr Arbeitsplätze schaffen, als sie vernichten, und dies nicht nur für die anderen, sondern durch angemessene Bildungsstrategien auch für jene, deren schwere Arbeit jetzt der Roboter macht. (Karin Bauer, 17.1.2017)