Die selten glaubliche und immer zäh diskutierte Vorgabe, zu einem glücklichen Leben gehöre als Basis die Fähigkeit einer Work-Life-Balance, also das Geschick, die verflüssigten Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit wieder in einen gesundheitsförderlichen Aggregatzustand zu bringen, ist offenbar obsolet. Kurz war "Bleisure" da, also das Anerkennen des dauernden Waberns mit hängender Zunge, dann wurde die jeweils richtige Mischung, das "Blending" besprochen.

Vom Abrackern für die Leistungsgesellschaft hin zu Muße und kreativer Arbeit? Antiwork ist jetzt State of the Art – aber für wen?
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Arbeitsalltag soll nicht mehr wehtun

Jetzt ist sowieso alles anders. Antiwork wird international propagiert (Brian Dean: abolishwork.com) und schreibt auch das Zukunftsinstitut namentlich via Franz Kühmayer. Antiwork ist jetzt State of the Art. Das soll eine radikale kognitive Gegenmacht zur calvinistischen harten Arbeit im Schweiße des Angesichts sein. Ein Gegenfetisch zur Tapferkeitsmedaille in der Leistungsgesellschaft, die mit Burnout und totaler Zerstörung jedweder Lebensfreude auf dem Schlachtfeld der beruflichen Leistungserbringung aufgestellt ist. Harte Arbeiter sind nun von gestern – angesichts der Roboterisierung sowieso. Der Arbeitsalltag soll nicht mehr wehtun, das sagt Antiwork. Und weiter: Drei Stunden kreativ gute Ideen in die Welt zu bringen ist sowieso zweckdienlicher, als Zwölf-Stunden-Tage mit sinnlosen Meetings und Status-Absicherungsritualen zu fristen.

Wozu Arbeitsraum und Lebensraum weiter trennen? Wozu zur Arbeit fahren? Zeit und Ort sind sowieso technologisch längst entgrenzt. Fixe Schreibtische, jahrzehntelange Kollegenschaft? Alles sowieso bald von vorgestern. Gemeinsames Arbeiten remote, Projekte in Komplizenschaft, die schmerzfrei beendet werden, sobald das Ziel erreicht oder nicht mehr vorhanden ist. Die Devise: Du sollst keine Firma außer meiner haben (als Karrieretreiber und Bedingung für Chancen im System) wird da eh nicht mehr verstanden.

Arbeit – Leidenschaft – Sinn: Ist jetzt alles "Antiwork", flexibel und sinnstiftend? Antworten zu den aktuellsten Trends der neuen Arbeitswelt liefert das heute erscheinende Magazin "KarrierenStandards", das dem STANDARD beiliegt.
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Laut Kühmayer lebe die junge, Generation Y genannte Bevölkerungsgruppe sowieso schon (freiwillig oder nicht) so: teilen und nutzen statt besitzen, Chancen ergreifen, wo sie sind. Versprechen für die Karriere werden ja nicht einmal mehr gegeben.

Luxusgut und Sehnsuchtsware

Schwappt so endlich ein neues Menschenbild getragen von neuem Selbstbewusstsein als Individuum in die Unternehmen? Oder ist es Verweigerung der routinemäßig organisierten Arbeitswelt, Kapitalismuskritik ohne Verzichtenmüssen, für ein Elitengrüppchen der Kreativökonomie? "Antiwork besteht dort, wo Tätigkeit und Muße, Engagement und Talent ineinander übergehen, wo Arbeit Kontemplation wird und sich von den Gesetzen des Geldes verabschiedet. Das Prinzip der selbstbestimmten Arbeit lässt Menschen Verantwortung übernehmen, aber auch darüber nachdenken, wer sie sein wollen. So wird Arbeit wieder zur ganzheitlichen Tätigkeit", schreibt Kühmayer im Leadershipreport des Zukunftsinstituts 2016. Also doch: Elitenprogramm.

Nachdenken, wer man sein will und wie man arbeiten will – eine Haltung, die alle betrifft. Bezahlt werden dafür aber nur wenige.
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Diese Haltung, ob so genannt oder nicht, ob gelebt oder als Sehnsucht, betreffe alle, meint Kühmayer. Ja. Aber derzeit werden nur ein paar ausgewählte Glückliche dafür auch halbwegs regelmäßig bezahlt. Die Stundenlöhne auf der Crowdplattform Mechanical Turk sind einsehbar, wer nichts im Hintergrund an Erbe oder Familienbesitz hat, wer nicht zu den bestausgebildeten global Mobilen gehört, wird eher in Panik geraten. Ja, diese ganzheitliche Sicht auf ein Arbeiten nach Talenten, Spaß und Leidenschaft, aus der Muße heraus, wie schon bei Nietzsche und Russell bis zu Max Weber nachzulesen ist, klingt elysisch. Rahmenbedingungen dafür werden allerdings nur heftig diskutiert. Eine davon ist das bedingungslose Grundeinkommen.

Die Generation Y, ihre Wünsche und die "Antiwork"

  • 95 Prozent wollen mehr Zeit mit Freunden verbringen
  • 85 Prozent wollen sich ethisch verhalten
  • 78 Prozent wollen einen Mehrwert für die Gesellschaft bringen
  • 60 Prozent wollen mit ihrer Arbeit Menschen helfen und die Welt verändern
  • 57 Prozent wollen eine freie Einteilung ihrer Arbeitszeit

Quelle: Befragung von über 3600 Studierenden und Absolventen in Deutschland durch die Medienfabrik

(Karin Bauer, 6.10.2016)