Wer darf kommen und bleiben? Wie können Menschen integriert werden? Verfassungsrechtlerin Katharina Pabel vermisst klare Entscheidungen in der Politik, um rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

JKU

Linz – Welche Auswirkungen hat Migration auf das Rechtssystem? Und vor allem: Wie reagiert das Recht darauf? Mit diesen heiklen Fragen beschäftigen sich aktuell rund 300 Juristen in Linz. Die Johannes-Kepler-Universität ist heuer erstmals Austragungsort der "Jahrestagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer".

Für die JKU-Organisatorin Katharina Pabel, Dekanin der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, sind durch die großen Wanderbewegungen nach und in Europa vor allem aus rechtlicher Sicht "spannende Zeiten" angebrochen. Der Umbruch sei als Folge der großen Herausforderung im letzten Jahr gekommen. Pabel: "Bis dahin hatten wir, sowohl national als auch international, im Bereich Migration ein Rechtssystem, das so dahingelaufen ist. Und dann war man plötzlich mit der extrem hohen Zahl an Neuankommenden konfrontiert. Die rechtlichen Rahmenbedingungen waren aber für diese Zahlen überhaupt nicht angelegt."

Rechtliches Zusammenspiel

Die Verfassungsrechtlerin sieht daraus resultierend konkret drei rechtliche Veränderungsprozesse: "In Phase eins ging es zunächst vor allem um die Bereiche Unterbringung, Versorgung und Transport. Mit Phase zwei tauchten dann die Fragen 'Wer darf kommen?', 'Wer darf bleiben?' und 'Wer muss gehen?' auf, in der dritten Phase geht es um die Möglichkeiten der Integration im weitesten Sinn. Etwa im Arbeitsmarkt. Und da stecken wir jetzt gerade mittendrin." Das Ziel müsse ein Zusammenspiel von Rechtsordnungen – national, europäisch, international – sein.

Hier übt Pabel auch Kritik an der Politik: "Es fehlt in vielen Bereichen die politische Entscheidung. Der politische Wille muss klar sein, dann erst können rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Der Jurist setzt immer dann an, wenn eine politische Entscheidung gefallen ist."

Den gerne gebrauchten Einwand, die Flüchtlingskrise hätte Europa überrascht, lässt Pabel nur bedingt gelten: "Eine derart große Zahl an Flüchtlingen war wahrscheinlich tatsächlich nicht absehbar. Aber: Schon zu Beginn 2010 war klar, dass Griechenland und Italien mit den Flüchtlingen, die damals bereits dort waren, überfordert waren. Es hat 2012 eine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gegeben, die besagt, dass die Situation in Griechenland und Italien so war, dass man bereits damals niemanden dorthin mehr zurückschicken durfte. Die EU hätte viel früher reagieren müssen."

Pabel: "Die strukturelle Überforderung von Griechenland und Italien lag auf dem Tisch. Es war damals klar, dass das Dublin-Abkommen nicht funktioniert. Auf EU-Ebene hätte man daher schon damals eine gesamteuropäische Lösung anstreben müssen."

Probleme abgewälzt

In Österreich ortet die Juristin eine durchaus neue Art, Politik zu machen: "Auffällig ist, dass die Politik an manchen Stellen Maßnahmen setzt, wo man eigentlich schon von Anbeginn an fürchtet, dass es rechtlich nicht halten könnte." Den Grund sieht Pabel erneut in dem politischen Unvermögen, eine klare Linie vorzu geben: "Da wird ein politischer Streit über ein heikles Thema, etwa die Kürzung der Mindestsicherung für anerkannte Flüchtlinge, auf die Juristen abgewälzt. Und die Politik hofft, auf rechtlicher Ebene die Lösung zu bekommen." (Markus Rohrhofer, 5.10.2016)