Schweizer Forscher sind überzeugt, dass die Schlafqualität mitverantwortlich dafür ist, ob sich die neuronalen Verbindungen im Gehirn während der Kindheit und Jugend optimal entwickeln.

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Zürich – Jeder Mensch muss schlafen. Das regelmäßige Abtauchen in die Tiefen des Traumlands ist überlebenswichtig. Bleiben Erwachsene länger wach als gewöhnlich, reagiert das Gehirn mit einem erhöhten Bedarf an Tiefschlaf. Das lässt sich über die Messung von "langsamen Wellen" (slow wave activity) mit der Elektroenzephalografie (EEG) nachweisen. Bei Erwachsenen sind diese Tiefschlafwellen am stärksten im präfrontalen Kortex – jener Hirnregion, die Handlungen plant und steuert, Probleme löst und am Arbeitsgedächtnis beteiligt ist, ausgeprägt.

Schlafentzug bei Kindern

Forscher der Uni Zürich konnten nun erstmals zeigen, dass verkürzter Schlaf auch bei Kindern zu einem erhöhten Bedarf an Tiefschlaf führt. "Allerdings reagiert das junge Gehirn anders auf akuten Schlafentzug als das von Erwachsenen. Der Tiefschlafeffekt zeigt sich nicht wie bei Erwachsenen in den vorderen, sondern in den hinteren Hirnregionen – dem Parietal- und Okzipitallappen", sagt Studienleiterin Salome Kurth von der Klinik für Pneumologie des Universitätsspitals Zürich.

Die Wissenschafter fanden zudem heraus, dass bei Kindern das erhöhte Schlafbedürfnis mit dem Myelingehalt in bestimmten Nervenfaserbündeln zusammenhängt: der Radiato Optica. Diese Hirnregion ist Teil des visuellen Systems, das für die räumliche Wahrnehmung und die Verarbeitung multi-sensorischer Eindrücke zuständig ist. Der Gehalt an Myelin – eine fettreiche Schicht, die die Nervenfasern umwickelt und die Weiterleitung elektrischer Signale beschleunigt – ist ein Maß für die Hirnausreifung und nimmt im Verlauf der Kindheit und Jugend zu. Je mehr Myelin in einer Hirnregion vorhanden ist, desto mehr ähnelt der Tiefschlafeffekt jenem von Erwachsenen.

Tiefschlafeffekt ist abhängig von der Gehirnausreifung

Um die Auswirkungen von Schlafentzug bei Kindern zu untersuchen, arbeiteten die Wissenschaftler mit Schlafforschern der University of Colorado Boulder (USA) zusammen. Dabei wurde die Hirnaktivität während des Schlafs von 13 gesunden Kindern im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren ermittelt. Die EEG-Messungen mit insgesamt 128 Elektroden wurden zwei Mal über Nacht zuhause bei den Familien durchgeführt. Einmal gingen die Kinder zur normalen Bettzeit schlafen, das andere Mal blieben sie bis spät nachts wach und erhielten somit nur exakt die Hälfte der normalen Schlafdauer.

Zusätzlich bestimmten die Wissenschaftler den Myelingehalt im Hirn über ein nicht-invasives Magnetresonanztomografie-Verfahren. "Unsere Resultate zeigen, dass der Tiefschlafeffekt spezifisch in einer bestimmten Hirnregion auftritt und mit dem Myelingehalt in Verbindung steht", fasst Salome Kurth das Ergebnis zusammen.

Möglich sei, so Kurth, dass dieser Effekt nur vorübergehend ist, also nur in der Kindheit oder Adoleszenz während sensitiven Entwicklungsphasen auftreten könnte. Die Wissenschaftler gehen nun davon aus, dass die Schlafqualität mitverantwortlich dafür ist, ob sich die neuronalen Verbindungen während der Kindheit und Jugend optimal entwickeln. Entsprechend wichtig während dieser Lebensphase ist es, ausreichend zu schlafen, so die Empfehlung der Wissenschafter. Internationalen Richtlinien zufolge beträgt die empfohlene Schlafzeit für Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren zwischen neun bis elf Stunden pro Nacht. (red, 4.10.2016)