John Stewart Bell, Namenspatron des Experiments, auf einem Archivbild aus dem Jahr 1988.

Foto: Queen's University Belfast

Wien – Schon lange sucht man nach anschaulichen Erklärungen für das quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung: ein Schlupfloch für das von Einstein als "spukhafte Fernwirkung" bezeichnete Verhalten von Teilchen. Doch bisher war dies vergeblich. Mit dem "Big Bell Test" wollen nun elf Institute rund um den Globus im bisher größten Quantenphysik-Experiment gemeinsam mit der Bevölkerung die Nagelprobe machen.

Hintergrund

Die quantenmechanische Verschränkung ist eine Konsequenz der Quantenmechanik. Zwei verschränkte Teilchen, etwa Photonen, bleiben miteinander verbunden, auch wenn sie sich über beliebige Distanzen von einander entfernen. Manipuliert man an einem dieser Teilchen, indem man beispielsweise die Richtung der Lichtschwingung (Polarisation) misst, schwingt augenblicklich auch das andere Teilchen in diese Richtung.

Könnte man zwei Spielwürfel verschränken, wüsste man bis zur Messung nicht, welche Augenzahl sie zeigen. Nach der Messung würde aber mit Sicherheit bei beiden die gleiche, zufällige Seite nach oben zeigen. Da sich nichts schneller als das Licht ausbreiten kann, widerspricht dies der Speziellen Relativitätstheorie – was Albert Einstein wohl zu seiner abwertenden Einschätzung als "Spuk" veranlasste.

Die mit dem gesunden Menschenverstand nicht nachvollziehbaren Effekte der Verschränkung wurden in unzähligen Experimenten nachgewiesen. Doch mit einiger Fantasie und Anstrengung bleiben Schlupflöcher und die Ergebnisse ließen sich auch mit der klassischen Physik, also nicht quantenphysikalisch, erklären.

Erklärungsversuche

Es könnten etwa die Informationen über die Messung an einem Teilchen über klassische Kommunikation zum anderen Teilchen gelangen. Ein anderes Schlupfloch betrifft die in den Verschränkungs-Versuchen verwendeten Zufallszahlen-Generatoren. "Bei den Experimenten ist es unter anderem wichtig, zufällig und unvorhersehbar zwischen zwei verschiedenen Messanordnungen hin- und herzuschalten – und dafür verwendet man solche Generatoren", sagte Thomas Scheidl vom Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Theoretisch könnte es auch sein, "dass die Welt etwas ganz Verschworenes ist", wie der Quantenphysiker Anton Zeilinger einmal sagte – dass diese Zufallszahlen-Generatoren, von denen die Wahl der Einstellung zur Messung der verschränkten Teilchen abhängt, fremdgesteuert werden und die Auswahl der Messung nicht völlig frei und unabhängig war. Doch den Physikern gelang es, diese Schlupflöcher weitestgehend zu schließen und zu zeigen, dass es keine anschauliche Erklärung für die Verschränkung gibt.

Was zu tun wäre

Der nordirische Physiker John Stewart Bell (1928-1990) hat 1964 ein bahnbrechendes Theorem ("Bell'sche Ungleichung") publiziert, das es ermöglicht, durch Experimente festzustellen, ob es tatsächlich solche verborgenen Eigenschaften und Informationen gibt. Und Bell hatte als ultimatives Experiment vorgeschlagen, dass Menschen aus ihrem freien Willen heraus die Messbasis wählen sollten, so Scheidl.

Und genau das ist das Ziel des "Big Bell Tests": Am 30. November sollen mindestens 30.000 Personen – so viele sind für das Gelingen des Versuchs notwendig – über Computer, Tablet oder Smartphone per Internet eine beliebige Abfolge der Zahlen 0 und 1 eingeben. Diese zufälligen Zahlenabfolgen werden an die teilnehmenden Institute geschickt.

Dort werden diese Zahlenabfolgen in Signale übersetzt, die das Kommando geben, welche Messanordnung verwendet wird. "Bei uns in Wien ist das eine Hochspannung, die man auf einen Kristall geben muss, der dann die Polarisation dreht oder nicht", sagte Scheidl.

Ganz ultimativ ist allerdings auch dieser Test noch nicht. Das wäre im Sinne Bells erst dann der Fall, "wenn die Messbasis erst dann gewählt wird, wenn die verschränkten Teilchen bereits erzeugt sind und auf dem Weg zur Messung sind", so Scheidl. Bei den realisierbaren Distanzen auf der Erde sei das aufgrund der Geschwindigkeit der Teilchen aber nicht möglich. Dazu müsste man sie etwa zum Mond schicken und in dieser Sekunde Laufzeit die Messbasis durch den freien Willen eines Menschen wählen lassen.

Am 30 November ist es soweit

Wer sein Talent zur "Zufälligkeit" bereits jetzt testen möchte, kann das auf der Homepage des Experiments tun und mit dem eigens konzipierten Computerspiel "Big Bell Quest" für das Experiment am 30. November trainieren. Der "Big Bell Test" wird vom spanischen ICFO – The Institute of Photonic Sciences in Barcelona koordiniert. Neben dem IQOQI beteiligen sich unter anderem die ETH Zürich, die Uni München und Institute in Australien, Chile, China, Frankreich und Spanien an dem Experiment. (APA, 3. 10. 2016)