Wien – Bis zu 800 Personen seien in der Wiener Leopoldstadt durch fehlerhafte Wahlkarten bei der Wahlwiederholung am 18. September um ihr Wahlrecht gebracht worden, erklärten die Wiener Neos am Montag bei einer Pressekonferenz. "Nicht durch eine Schlamperei, sondern durch die bewusste politische Entscheidung der Stadtregierung, die Wahl trotz der bekannten Probleme am ursprünglichen Termin durchzuziehen", sagte Neos-Wien-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Dennoch hätten sich die Neos entschieden, die Bezirksvertretungswahl nicht anzufechten.
Grund dafür sei, dass die "Demokratie an sich auf schwachen Beinen" stehe, was sich an der niedrigen Wahlbeteiligung zeige. Nur 35 Prozent der Wahlberechtigten setzten bei der Wahlwiederholung ihr Kreuzerl, bei der regulären Wahl am 11. Oktober hatten noch rund 65 Prozent ihre Stimme abgegeben. Die Wahlbeteiligung könnte bei einer erneuten Wiederholung "noch geringer" ausfallen, sagte Meinl-Reisinger. Und es bestehe die Gefahr, dass sich auch "angesichts der Dramatik um die Bundespräsidentschaftswahlen noch mehr Leute von der Demokratie abwenden". Hinzu komme die Kostenfrage: Eine Wahlwiederholung sei teuer.
Neos wollen Wahlrecht reformieren
Man wolle deshalb "vernünftig sein" und tun, was der "Demokratie mehr nützt". Die Pinken kündigten ein "Demokratieschutzpaket" für das "reformbedürftige" Wahlrecht an: Forderungen seien "klare Regeln für den Tausch defekter Wahlkarten", die "Möglichkeit zur Wahlverschiebung" und die "öffentliche Auszählung der Stimmen". Die Briefwahl solle nicht abgeschafft werden.
In den nächsten 21 Tagen soll auf Antrag der Neos eine Sondersitzung im Landtag stattfinden. Für die laut Meinl-Reisinger "falsche politische Entscheidung", die Wahlwiederholung nicht zu verschieben, müsse es Konsequenzen geben. Die Pinken wollen dem zuständigen Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny einen Fragenkatalog vorlegen und fordern auch Antworten von Bürgermeister Michael Häupl (beide SPÖ), der "bisher geschwiegen" habe.
EU-Austrittspartei ficht an
Eine Anfechtung wird es trotz der Entscheidung der Neos geben: Die EU-Austrittspartei, die 0,3 Prozent beziehungsweise 74 Stimmen erreichte und den Einzug ins Bezirksparlament klar verpasste, kündigte bereits vergangene Woche an, den Verfassungsgerichtshof anrufen zu wollen. Robert Marschall, Obmann der Partei, kritisierte die Durchführung der Wahl trotz schadhafter Wahlkarten.
Wie die Wahlbehörde am Montag nach der Wahlwiederholung bekanntgegeben hatte, waren fast die Hälfte der rund 7.400 ausgestellten Briefwahlkarten schadhaft. Etwa 2.400 konnten ersetzt werden, rund 800 wurden nicht mehr ausgetauscht – und somit nicht gezählt, denn eine defekte Wahlkarte gilt in Wien nicht als Wahlkarte, sie wird zum rechtlichen Nichts.
Die Neos beriefen daraufhin ein Bürgerforum ein und sammelten Fälle von Personen, die wählen wollten, aber nicht konnten – etwa weil sie erst nach der Wahl darüber informiert wurden, dass ihr Kuvert schadhaft gewesen war.
Mailath-Pokorny: Verschiebung war unmöglich
Laut Mailath-Pokorny wäre eine Verschiebung nicht möglich gewesen: Die Wahlwiederholung habe innerhalb von 100 Tagen ab der Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichts erfolgen müssen; also spätestens am 25. September.
Der Gerichtshof hatte die Neudurchführung angeordnet, weil bei der regulären Wahl 2015 nichtunterschriebene – also ungültige – Wahlkarten mitgezählt worden sein dürften. Die FPÖ hatte das Resultat angefochten, weil sie nur 21 Stimmen hinter den Grünen auf Platz drei lag. Sie liegen nun erneut auf dem dritten Platz (22,5 Prozent) hinter Grünen (35,3 Prozent) und SPÖ (28,1 Prozent). Die Neos kamen auf 5,1 Prozent. (cmi, ook, 3.10.2016)