Johannes Schnizer hat sich und dem Verfassungsgerichtshof einen schlechten Dienst erwiesen. Dass er als Mitglied des Gerichtshofs den Spruch zur Aufhebung der Stichwahl des Bundespräsidenten verteidigt, gehört zu seinem Job – nicht aber, dass er öffentlich seine Einschätzung wiedergibt: Dass es "offenkundig" schon vor der Stichwahl Vorbereitungen für eine Wahlanfechtung aufseiten der FPÖ gegeben habe. Wenn ein Verfassungsrichter dies öffentlich erklärt, dann wiegt das schwer. In einer so herausgehobenen Funktion müsste er außerdem die Folgen vor Augen haben. Er nützt damit der FPÖ, die diese Steilvorlage sofort aufgenommen und sich wieder einmal als Opfer präsentiert hat.

Ihr Anwalt Dieter Böhmdorfer sprach von "unfassbaren strafrechtlichen Vorwürfen". Er behauptete, Schnizer habe der Partei "kriminelle Vorbereitungen" vorgeworfen – was Schnizer nicht getan hat. Böhmdorfer nahm sogar das unsägliche Wort "Gesinnungsterror" in den Mund. Diese Reaktion ist überschießend, und Böhmdorfer agiert einmal mehr nicht als Anwalt, sondern als Sprecher der FPÖ in der Öffentlichkeit.

Aber auch wenn man an keine Verschwörungstheorien glaubt, die pikanterweise von FPÖ-Sympathisanten – Stichwort Zaubertinte – besonders gern in die Welt gesetzt werden: Es gibt Aussagen, die belegen, dass die FPÖ schon vor und am Wahlabend Zweifel an der Briefwahl geäußert hat. Bereits am Tag vor dem Urnengang gab FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl eine Aussendung heraus, wonach "bei der Briefwahl immer wieder Ungereimtheiten" auftreten und "ob bei Verfügungsberechtigung und Auszählung tatsächlich dem Wählerwillen entsprochen wird". Am Wahlabend meinte Kandidat Norbert Hofer: "Bei den Wahlkarten wird immer ein bisschen eigenartig ausgezählt", und Parteichef Heinz-Christian Strache meinte am Wahlabend, dass es bei den Wahlkarten nicht "so ein diametrales Ergebnis gegen den allgemeinen Wahltrend" geben könne.

Dass die Zweifel derart orchestriert geäußert wurden, ist ein Faktum, das andere Zweifel erst recht schürt. Es stellt sich die Frage, wie glaubwürdig angesichts dieser Aussagen Böhmdorfers Behauptung ist, man habe keinerlei Hinweise gehabt.

Dazu kommt, dass in Juristen kreisen schon seit Wochen darüber diskutiert wird, wie man eine 150-Seiten-Anfechtungsschrift binnen weniger Tage verfassen kann. Ob der Vorwurf gegen die FPÖ überhaupt strafrechtlich relevant ist, ist unter Juristen umstritten. Gleiches gilt für Schnizers Aussagen. Die FPÖ hat ihm auch keine Klage, sondern lediglich die Aufforderung zukommen lassen, seine Behauptungen zurückzunehmen.

Auch wenn Präsident Gerhart Holzinger die Aussagen Schnizers als "Privatmeinung" deklariert, so haben dessen Äußerungen dem Gericht geschadet. Denn Schnizer hat sich auch noch als Van-der-Bellen-Wähler deklariert. Damit ist er zu Recht dem Vorwurf der Parteilichkeit ausgesetzt – wie auch Verfassungsrechtler Heinz Mayer, der in dieser Causa seine Meinung überraschend geändert hat.

Verfassungsrichter werden von der Politik bestellt. Umso wichtiger ist, dass keine Zweifel an ihrer Unabhängigkeit im Amt bestehen. Es geht deshalb nicht nur um Schnizer, sondern um das Ansehen eines Höchstgerichtes – und um die Unparteilichkeit der Justiz, die ein Richter selbst infrage gestellt hat. (Alexandra Föderl-Schmid, 29.9.2016)