Zuerst öffentliche Auftritte, nun die Absage öffentlicher Verhandlungen: Mit Höchstrichter Johannes Schnizer nimmt die FPÖ auch den Verfassungsgerichtshof ins Visier.

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Der Druck auf den allzu redseligen Verfassungsrichter steigt und steigt: Am Donnerstag sagte Johannes Schnizer, der die Freiheitlichen verdächtigt hat, ihre Anfechtung der Hofburgstichwahl schon vor dem 22. Mai vorbereitet zu haben, seine Teilnahme an einer öffentlichen Verhandlung des Verfassungsgerichtshofs über die Tiroler Agrargemeinschaften ab, weil er sich für befangen erklärte, wie der VfGH bestätigte. Hintergrund: Die Freiheitlichen waren an der entsprechenden Beschwerde des Tiroler Landtages beteiligt.

Im Ö1-"Morgenjournal" hatte FPÖ-Anwalt Dieter Böhmdorfer, einst Justizminister, Schnizer vorgehalten, der Partei "kriminelle Vorbereitungen" ihrer Wahlanfechtung nachgesagt zu haben – dazu sei es "unfassbar und unglaublich", dass das Höchstgericht nicht mehr Tätigkeit entwickle, seinen Ruf zu retten.

Keine Hinweise vorgelegt

Wie berichtet, teilt Verfassungsrechtler Theo Öhlinger die Rechtsauffassung, dass das Wissen und Dulden von Unkorrektheiten im Zuge der Auszählung von Briefwahlstimmen, um dann vor den Verfassungsgerichtshof zu ziehen, ein Fall für die Staatsanwaltschaft wäre. Denn somit stehe der Vorwurf im Raum, die FPÖ habe Wahlbeisitzer dazu verleitet, den Ablauf als korrekt zu beurkunden – wohl wissend, dass die Partei danach dagegen rechtlich zu Felde ziehen werde. "Das wäre somit Anstiftung und Beihilfe zu Falschbeurkundung – und wäre genauso strafbar wie das Begehen des Delikts", präzisiert Öhlinger im STANDARD-Gespräch, hält aber fest, dass Schnizer bis dato dazu eben keine konkreten Hinweise vorgelegt hat.

Verfassungsrechtler Heinz Mayer hingegen, der Hofburgkandidat Alexander Van der Bellen unterstützt, hält weder Schnizers öffentlich kundgetane Vermutung noch die Möglichkeit, dass die FPÖ ihre Anfechtungsschrift tatsächlich schon länger vorbereitet hat, für einen strafrechtlich relevanten Akt. "Dass die FPÖ das genutzt hat, wäre nicht illegal", sagt er. "Politisch könnte man es freilich strenger bewerten." Noch dazu, wo FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer schon am Stichwahlabend – also vor Auszählung aller Briefwahlkarten – die "eigenartigen" Abläufe dabei beanstandet hat.

Blauer Verzicht

Dass die regelmäßige Nichteinhaltung des Wahlgesetzes im Parteiapparat bekannt war, zeigt sich etwa auch in der Aussage eines FPÖ-Beisitzers aus Gänserndorf, der in seinem Datenblatt für die FPÖ-Wahlanfechtung angab: "Nach Rücksprache mit dem Bezirksobmann verzichteten wir, aufgrund des überraschend guten Ergebnisses für Ing. Hofer, auf die Protokollierung der Missstände in der Niederschrift."

Vorläufig hat die FPÖ Schnizer ohnehin nur aufgefordert, seine "unwahren Behauptungen" zurückzunehmen – und dieses Begehr wurde dem Höchstrichter über ihren Medienanwalt Michael Rami zugestellt. Die FPÖ habe "im Interesse der größtmöglichen Wahrung des Ansehens des Verfassungsgerichtshofes kein Interesse an einem Rechtsstreit vor Gericht", versicherte dazu Generalsekretär Herbert Kickl.

SPÖ-Justizsprecher und Anwalt Hannes Jarolim überrascht das nicht. Er sieht nämlich ebenfalls keine "strafrechtliche Relevanz" in Schnizers Aussagen. "Was die FPÖ macht, ist eine Mischung aus Schaumschlägerei und Drohungen", sagt er, der Schnizers Medienauftritte, "freundlich formuliert, ,innovativ'" nennt. Er selbst hätte darauf verzichtet. Ob es dem Ansehen des Höchstgerichts geschadet hat? "Zumindest genützt hat es ihm nicht", weicht Jarolim aus.

"Hang zur Boshaftigkeit"

Der SPÖ-Justizsprecher kann der Causa aber auch etwas Gutes abgewinnen, zeige diese doch, wie wichtig es sei, dass künftig die Veröffentlichung von abweichenden Meinungen des Verfassungsgerichts in einem definierten Rahmen möglich gemacht werden soll. "Die Mehrheit der vernünftig Denkenden wird das jetzt befürworten", sagt der SPÖ-Mandatar. Dass ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka gegen eine derartige Initiative ist, wischt Jarolim weg: "Lopatka redet oft über Sachen, bei denen ihm die Informationen fehlen – und das noch dazu mit einem Hang zur Boshaftigkeit."

Mit der aufgehobenen Stichwahl beschäftigt sich seit längerem auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Sie ermittelt weiter gegen Wahlbeisitzer und Wahlbehördenleiter aus 20 Bezirks- und Sprengelbehörden, will aber auf Anfrage nicht sagen, wie viele Verdächtige es insgesamt gibt. Ob es Anklagen geben wird, ist alles andere als klar – derzeit liege noch nicht einmal ein Abschlussbericht der Polizei vor, erfuhr der STANDARD von einem Verfahrensbeteiligten. Die Ermittlungen laufen wegen des Vorwurfs der Falschbeurkundung von Wahlversammlungsprotokollen, bei den Behördenleitern geht es zusätzlich um den Vorwurf des Amtsmissbrauchs. Als Beamte müssen sie mit disziplinarrechtlichen Folgen rechnen. (ef, nw, pm, sterk, 29.9.2016)