Alen R. beim Prozess am Mittwoch.

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Zwei Psychiater waren als Gutachter am Mittwoch beim Prozess um den Amokfahrer, der im Juni 2015 in Graz drei Menschen tötete und insgesamt mehr als 100 verletzte, am Wort. Und die Geschworenen, die über die Zurechnungsfähigkeit von Alen R. entscheiden müssen, hörten im Schwurgerichtssaal des Grazer Straflandesgericht einmal mehr zwei völlig unterschiedliche Einschätzungen.

Der deutsche Psychiater Jürgen Müller war schon im Vorfeld des Prozesses als "Obergutachter" engagiert worden, weil zwei Kollegen uneins waren: Peter Hofmann, der R. als nicht zurechnungsfähig einstufte, und Manfred Walzl, der zum gegenteiligen Schluss kam. Am Mittwoch erklärte nun Müller, warum auch er glaube, dass der 27-jährige Betroffene an Schizophrenie leide und damit zurechnungsunfähig sei. Diese Beurteilung, die er auf ein 150-seitiges Gutachten stützt, hielt Müller auch nach den Tagen, die er nun R. im Prozess beobachten konnte, aufrecht.

Es habe sich bei R. zur Tatzeit um einen "akuten Wahn" gehandelt, führt Müller aus, "einen handlungsanleitenden, unkorrigierbaren Wahn". Das habe R. niemand eingegeben, so der Arzt, "diese Wahnideen sind da, und er war nicht in der Lage, sie auszuwechseln". Seine Symptome seien nicht vorspielbar, meinte Müller auch.

Richter Andreas Rom wollte von Müller wissen, ob dieser kategorisch ausschließe, dass R. lüge. In manchen Punkten "flunkert" er schon, räumte Müller ein, nämlich bei seinen Aussagen zum Cannabiskonsum, den R. abstreitet, obwohl Tests diesen nachgewiesen haben. Doch in den entscheidenden Punkten, nämlich dass er am 20. Juni 2015 Schüsse hörte, sich verfolgt fühlte und Schutz bei der Polizei suchte, da "schließe ich aus, dass er lügt", sagte Müller überzeugt.

Ganz anders sieht das alles der psychiatrische Gutachter Manfred Walzl, der Alen R. eine "kombinierte Persönlichkeitsstörung" attestiert, aber keinen Hinweis auf Schizophrenie erkennen will. Walzl bezeichnete R. als "zwanghaft, abhängig, negativistisch, eigensinnig, dissozial", aber zurechnungsfähig. Der Mann habe einen "Hass und Groll auf die Gesellschaft" gehabt, und die Amokfahrt sei ein "Ventil für seine Rachegedanken" gewesen. R. sei beruflich immer nur gescheitert, auch seine Ehe war vorbei, das sei eine unerträgliche Situation für ihn gewesen, führte Walzl aus.

Dass die Störungen von Alen R. von seinem Cannabiskonsum herrührten, glaubt Walzl aber auch nicht, wie er nach mehrmaliger Nachfrage von R.s Rechtsvertreterin Liane Hirschbrich zugab. Die Verteidigerin lieferte sich mit Walzl am Mittwoch immer wieder mitunter lautstarke Gefechte, etwa als sie wissen wollte, welchem Beruf eine Autorin, aus deren Buch Walzl mehrmals zitiert hatte, nachgehe. Walzl musste schließlich zugeben, dass er das nicht wisse.

Entscheidung am Donnerstag

Richter Rom wies Hirschbrich auch mehrmals zurecht und machte sie darauf aufmerksam, dass Zynismus im Gerichtssaal keinen Platz habe, als sie abschätzig anmerkte, dass Walzls Gutachten "von der Justiz bezahlt" sei.

Mit einer Entscheidung der acht Geschworenen wurde am Donnerstag gerechnet. Die Sicherungsvorkehrungen wurden daher schon am Mittwoch noch einmal verstärkt, auch Journalisten dürfen keine Taschen mehr in den voll besetzten Gerichtssaal mitnehmen. (Colette M. Schmidt, 28.9.2016)