Finanzinstitute legen ihre Händler immer öfter an die Kette. Um Megaverluste zu vermeiden, überwachen Spione ihre Tätigkeiten.

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Wien – Seit das Schneeballsystem von Bernie Madoff 2008 aufgeflogen ist, mit dem der Finanzjongleur Anleger um 65 Milliarden Dollar geprellt hat, hat sich an der Wall Street einiges verändert. Die Bankenaufsicht wurde verschärft, ebenso die Eigenkapitalvorschriften und die Kreditvergabe der Banken, Ratingagenturen wurden an die Leine genommen. Banken haben ihre Complianceregeln verschärft und Investmentbankern wurden Ketten angelegt.

Bei der Betrugsprävention greifen Finanzinstitute laut der Agentur Bloomberg nun zu ungewöhnlichen Methoden und heuern zunehmend ehemalige Geheimdienstmitarbeiter an, um sogenannte "rogue traders" wie Jérôme Kerviel oder Nick Leeson (haben durch hochriskante Geschäfte Megaverluste eingefahren) frühzeitig zu identifizieren.

Strenge Überwachung

Bryon Linnehan ist dafür ein Beispiel. Er war zwei Jahre als US-Geheimdienstagent im Irak stationiert, seit Mai 2015 überwacht er die elektronische Kommunikation bei der US-Investmentbank Barclays. Leute wie Linnehan sollen laut dem Bericht das gesamte Verhalten verfolgen: wie lange Banker für die Zigarettenpause brauchen oder welche Webseiten sie aufrufen. Spezialisten, die einst Terroristen und Verbrecherbanden observierten, finden damit an der Wall Street ein lukratives Betätigungsfeld – denn sie sollen bei den Banken rund doppelt so viel kassieren als in ihren alten Jobs. Dabei wenden sie ähnliche Methoden an wie die Geheimdienste: Texterkennung, E-Mail-Scans, Stimmanalysen.

Die computerforensischen Fähigkeiten der Agenten sind sehr gefragt. In den vergangenen zwei Jahren sollen laut Bloomberg Banken, darunter die Deutsche Bank, HSBC und JPMorgan Chase, dutzende ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter vom US- und britischen Militär, dem CIA sowie Topagenten der britischen Regierungsbehörde GCHQ eingestellt haben. Die UBS, die durch den Händler Kweku Adoboli 2011 einen Schaden in der Höhe von 2,3 Milliarden Dollar erlitten hatte, stockte im vergangenen Jahr ihre Complianceabteilung um 300 Stellen auf. Ob darunter auch Geheimdienstmitarbeiter sind, wollte die Bank auf Anfrage nicht mitteilen.

Ungewöhnliches Verhalten

"Zu den beruflichen Hintergründen von Mitarbeitern – zum Werdegang beziehungsweise aus welchen Bereichen diese kommen – nehmen wir generell aus Schutz für den Angestellten keine Stellung", teilte eine Sprecherin mit. Nur so viel: "Wir haben unsere Aufsichts- und Überwachungskapazität deutlich erhöht, sodass wir in der Lage sind, früher ungewöhnliche Verhaltensmuster bei unseren Mitarbeitern und unzulässige Geschäftspraktiken und Vorgehensweisen zu erkennen."

Dabei setzt die UBS auch Monitoringinstrumente (darunter softwaregestützte Programme) ein, "die sicherstellen und überwachen, dass das Richtige getan wird". Im Jahresbericht 2015 heißt es dazu: "Wir haben ein konzernweites Regelwerk zur Steuerung von Verhaltensrisiken eingeführt, das in unser bestehendes Regelwerk zur Bewirtschaftung des operationellen Risikos integriert wurde. Im Rahmen dieses Regelwerks werden verhaltensbezogene Informationen für das Management aufbereitet. Diese Informationen enthalten Daten zum Verhalten von Mitarbeitern sowie über Kunden und die Märkte. Das Verhalten der Mitarbeiter wird auch bei der jährlichen Festlegung der Vergütung berücksichtigt."

Vor dem Hintergrund milliardenschwerer Strafzahlungen sind Banken extrem vorsichtig geworden. Und wachsam. Die US-Investmentbank JP Morgan Chase etwa hat einen Algorithmus getestet, um Fehlverhalten von Mitarbeitern zu entlarven. Die Software sammelt Daten über Investmententscheidungen und kombiniert diese mit Informationen über geschwänzte Schulungen und Hinweisen auf besondere Risikofreude. Am Ende soll ein lückenloses Profil entstehen, welches das "Risiko Mitarbeiter" beherrschbar machen soll.

Aggressive Charakteristika

Mark T. Williams, Professor für Finanzwirtschaft an der Boston University und Autor des Buchs Uncontrolled Risk: Lessons of Lehman Brothers and How Systemic Risk Can Still Bring Down the World Financial System, hält diese Methoden für problematisch. "Banken, die das bestehende Verhalten der Mitarbeiter zu modellieren versuchen, neigen dazu, falsche Annahmen darüber zu treffen, dass aggressive Charakteristika sowohl einen guten Händler als auch einen guten Kriminellen ausmachen", sagt er. Aggressivität sei ein ambivalenter Charakterzug und nicht per se negativ.

Unkalkulierbare Risiken könnten auch aus den Verhaltensanalysen resultieren. Die Instrumente würden überdies ein "falsches Signal" an die Trader senden, dass das Management einen Generalverdacht hege und davon ausgeht, dass sie ein "Verbrecher-Gen" in sich tragen. Das zeugt von einem pessimistischen Menschenbild und Misstrauen in die eigenen Mitarbeiter. Die Mitarbeiterkultur schlägt von einem Extrem ins andere über: von Laissez-faire zum totalen Kontrollregime.

Bloomberg zitiert vier anonyme Trader, die von "Überwachungsparanoia am Arbeitsplatz" sprechen. Verunsicherte oder gar verängstige Händler treffen auch schlechtere Entscheidungen. Doch das scheint in der Kalkulation der Complianceabteilungen nicht eingepreist zu sein. (Adrian Lobe, 02.10.2016)